Arbeitsunfähig nach Streit – Kündigung erlaubt?

Stellen Sie sich vor, Sie haben als Arbeitgeber oder Vorgesetzter Streit mit einem Arbeitnehmer. Der meldet sich daraufhin krank und erscheint erst einmal nicht mehr. Und dann?

Um diesen Fall dreht sich nicht nur die Frage, die mir eine Leserin gestellt hat, sondern auch, welch glücklicher Zufall, ein Urteil des Landesarbeitsgericht Mainz.

Arbeitsunfähig nach Streit – Der Fall:

Zwischen einer Steuerfachangestellten und ihrem Arbeitgeber kam es infolge ihrer ordentlichen Kündigung zum Streit. Gegen Ende des Streitgesprächs äußerte die Arbeitnehmerin, ihr sei schlecht, sie gehe jetzt zum Arzt. Tags darauf legte sie ein ärztliches Attest vor, das ihr für den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Arbeitsunfähigkeit bescheinigte (sog. AU-Bescheinigung). Angesichts des vorherigen Streits hielt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit für vorgetäuscht und kündigte der Angestellten noch vor Ende des Arbeitsverhältnisses fristlos wegen Arbeitsverweigerung. Aber:

Arbeitsunfähig nach Streit – Diese Kündigung wurde vom Landesarbeitsgericht Mainz wieder kassiert

Im Rahmen der Beweislastverteilung komme der vorgelegten AU-Bescheinigung zunächst ein entsprechender Beweiswert zu, der durch den Arbeitgeber erschüttert werden müsse. Allein die Darlegung, dass die Krankheit auf den Streit folge, genüge jedoch nicht, um ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der AU-Bescheinigung zu begründen. Schließlich sei sogar denkbar, dass die zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit gerade Folge des Streits gewesen sei (LAG Mainz, Urteil vom 08.09.2009, Az.: 1 Sa 320/09). Im Klartext:

Arbeitsunfähig nach Streit – Sie brauchen harte Fakten

Die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers ist grundsätzlich nur bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen möglich. Eine solche kann jedoch vorliegen, wenn der Arbeitnehmer eine AU-Bescheinigung für einen Zeitraum vorlegt, in dem er tatsächlich kerngesund, also arbeitsfähig war. Eine solche vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit müssen Sie als Arbeitgeber daher nicht dulden und können außerordentlich kündigen.

Allerdings sollte Sie hierbei bedenken, dass die Gerichte der ärztlichen AU-Bescheinigung einen sehr hohen Beweiswert zumessen. Liegt ein solches Attest vor, wird Ihre Kündigung daher nur Bestand haben, wenn es Ihnen gelingt, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung zu wecken. Nur dadurch können Sie nämlich den einmal im Raum stehenden Beweiswert erschüttern und damit die Beweislast wieder umkehren.

Achten Sie daher darauf, dass Sie Ihre Vermutung stets durch nachweisbare Fakten belegen können. Beruht Ihre Annahme dagegen auf bloßen, nicht näher nachweisbaren Mutmaßungen, sollten Sie lieber auf eine Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit verzichten.

Zweifel an der AU: So entscheiden die Gerichte

In folgenden Fällen haben die Gerichte die erheblichen Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit bestätigt und zugunsten des Arbeitgebers entschieden:

  1. Nachdem der Urlaub eines Arbeitnehmers teilweise abgelehnt wurde, fragt der Mitarbeiter „Was machst Du, wenn ich krank werde?“, und legte einen „gelben Schein“ für die Zeit des nicht gewährten Urlaubs vor

    (BAG, Urteil vom 10.08.1983, Az.: 7 AZR 369/81 2).
  2. Eine als Küchenhilfe beschäftigte Arbeitnehmerin übte während ihrer Arbeitsunfähigkeit eine Tätigkeit als Putzfrau aus

    (LAG Düsseldorf, Urteil vom 25.06.1981, Az.: 3 Sa 220/81).
  3. Nach einem Anruf der Ehefrau des Arbeitnehmers beim Arzt wurde der „gelbe Schein“ ausgestellt, ohne dass dem eine Untersuchung vorangegangen wäre

    (BAG, Urteil vom 11.08.1976, Az.: 5 AZR 422/75).
  4. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber legten 8 von 15 Arbeitnehmern einer Arbeitsgruppe eine AU-Bescheinigung vor

    (ArbG Berlin, Urteil vom 5.06.1980, Az.: 12 Ca 671/79).
  5. Ein wegen Bluthochdrucks und eines Kollapszustands krankgeschriebener Arbeitnehmer baute während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit an seinem Eigenheim

    (LAG Düsseldorf, Urteil vom 16.12.1980, Az.: 24 Sa 1230/80).
  6. Nach einem Streit kündigte die Arbeitnehmerin, räumte ihren Arbeitsplatz und legte bis zum Ablauf der Kündigungsfrist 3 Erstbescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit von verschiedenen Ärzten vor

    (LAG Niedersachsen, Urteil vom 07.05.2007, Az.: 6 Sa 1045/05).
  7. Der Krankenschein war 5 Tage rückwirkend ausgestellt worden

    (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30.05.2008, Az.: 3 Sa 195/07).