Gefährdungsbeurteilung: Erstellung, Gefährdungsfaktoren & Pflichten

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Nachdem die Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz im Jahr 1992 auf europäischer Ebene verabschiedet wurde, trat 1996 in Deutschland das Arbeitsschutzgesetz in Kraft. Mit der vorgeschriebenen Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung hat der Gesetzgeber eine wesentliche Schutzvorrichtung verankert. Gefährdungen und Risiken am Arbeitsplatz sollen durch diese Maßnahme wirksam und frühzeitig erkannt werden. Doch wie wird eine Gefährdungsbeurteilung erstellt? Wer muss diese durchführen und wann? Der folgende Artikel liefert die wichtigsten Informationen rund um die Erstellung von Gefährdungsbeurteilungen.
Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Gefährdungsbeurteilung?

Eine Gefährdungsbeurteilung beschreibt die Bewertung aller Gefährdungen innerhalb eines Betriebes für die Arbeitnehmer sowie die nachfolgende Ableitung von passenden Schutzmaßnahmen. Die Arbeit in Ihrem Betrieb wird analysiert und im Hinblick auf das Arbeitsschutzgesetz kritisch betrachtet. Durch eine entsprechende Dokumentation sowie regelmäßige Kontrollen kann die Wirksamkeit langfristig festgestellt und bestätigt werden.

Was ist das Ziel der Gefährdungsbeurteilung?

Die Gefährdungsbeurteilung dient in erster Linie der Prävention und verfolgt das Ziel, die Einhaltung der vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen sowie den Schutz der Arbeitnehmer sicherzustellen.

Ist die Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung verpflichtend?

Gemäß DGUV-Vorschrift 1 der Berufsgenossenschaft sowie dem Arbeitsschutzgesetz sind Sie als Arbeitgeber dazu verpflichtet, für Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer in Ihrem Betrieb zu sorgen – unter anderem durch die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung.

Die Geschäftsführung trägt die Verantwortung für den Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit in den Betriebsstätten. Zudem hat sie die Aufgabe, die Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen zu überprüfen und zu überwachen. Bei Mängeln und Gefährdungen für die Arbeitnehmer und den Arbeitsbedingungen sind die Maßnahmen entsprechend zu korrigieren. Die Gefährdungsbeurteilung ist eines der wichtigsten Instrumente, um diese Verpflichtungen einzuhalten.

Wann muss eine Gefährdungsbeurteilung erstellt werden?

Um den Arbeitsschutz langfristig sicherzustellen, ist es nicht vorteilig, wenn Sie die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung als einmaliges Projekt ansteuern.  Vielmehr sollten Sie die Beurteilung der Gefährdungen in einer Arbeitsstätte als Bestandteil der kontinuierlichen Schutzmaßnahmen implementieren. Führen Sie eine Beurteilung jedoch grundsätzlich vor der Aufnahme einer Arbeit als Erstbeurteilung durch. 

Auch vor der erstmaligen Verwendung neuer Arbeitsmittel sowie der Einrichtung einer neuen Arbeitsstätte müssen Sie eine Gefährdungsbeurteilung voransetzen. Neben der Erstbeurteilung kann in bestimmten Situationen eine Folgebeurteilung oder Aktualisierung notwendig werden. Nachfolgend finden Sie einen Auszug wesentlicher Beispiele:

  • im Falle einer vorherigen Prüfung unwirksamer befundener Schutzmaßnahmen,
  • nach dem Auftreten von Arbeitsunfällen,
  • nach maßgebliche Veränderungen in der Arbeitsstätte sowie
  • bei neuen oder aktualisierten Rechtsvorschriften / Grundsätzen.

Wie wird die Gefährdungsbeurteilung erstellt?

Weder die DGUV-Vorschrift 1 noch das Arbeitsschutzgesetz enthalten bestimmte Regelungen, wie die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist. Aus diesem Grund werden von den Berufsgenossenschaften sowie Unfallkassen konkrete und branchenbezogene Leitfäden und Informationen herausgegeben. Diese Handlungshilfen beinhalten einen grundsätzlichen Prozess. Je nach Branche, Betriebsgröße und individuellen Gegebenheiten sind diese Handlungshilfen auf die jeweilige Betriebsstätte anzupassen. Von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin BAUA werden ebenfalls ausführliche Informationen zu den einzelnen Stufen und Schritten der Gefährdungsbeurteilung bereitgestellt. 

In der Praxis konnten sich die nachfolgenden Schritte bewähren:

1. Planung und Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung

Im Rahmen der Planung und Vorbereitung der Gefährdungsbeurteilung gilt es, den Betrieb zunächst zu unterteilen – in verschiedene Arbeitsbereiche und/oder Arbeitsplätze sowie spezielle Personen und auch Tätigkeiten. Schließlich muss eine Gefährdungsbeurteilung stets arbeitsplatzbezogen, bezogen auf die jeweilige Tätigkeit bzw. bei besonders gefährdeten Menschengruppen personenbezogenen erfolgen.  

2. Ermittlung der Risiken und Gefährdungen

Im zweiten Schritt sind Arbeitgeber dazu aufgefordert, alle Risiken und Gefährdungen, die an einem Arbeitsplatz oder während einer Tätigkeit auftreten können, zu identifizieren.

Zu potenziellen Gefährdungen in einem Unternehmen gehören unter anderem psychische und physische Gefährdungsfaktoren, mechanische, elektrische oder biologische Risiken sowie Gefahren durch die Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung.

Es gibt die unterschiedlichsten Wege, wie Sie im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung sämtliche Gefährdungen und Risiken ermitteln können, die möglicherweise auftreten:

  • Sie können eine Arbeitsplatzbegehung machen.
  • Sie können sich auf Ihre eigenen Erfahrungen berufen.
  • Sie können Mitarbeiter befragen, welche Gefährdungen bei ihrer Arbeit bisher aufgetreten sind.

Wichtig ist, dass Sie die für die Gefährdungsbeurteilung notwendigen Gefährdungen möglichst vollständig erfassen, also z. B. auch überprüfen, inwiefern die Mitarbeiter auch psychischen Gefährdungen ausgesetzt sind.

3. Analyse und Beurteilung der Gefährdungen

Im dritten Schritt einer Gefährdungsbeurteilung sind die identifizierten Risiken und Gefährdungen kritisch zu analysieren und anhand zuvor definierter Bewertungskriterien sowie den gesetzlichen Vorgaben zu beurteilen. Im Rahmen dessen werden die vorhandenen Risiken oftmals nach Eintrittswahrscheinlichkeit sowie den potenziellen gesundheitlichen Folgen bewertet. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe wird deutlich, ob ihrerseits ein dringlicher Handlungsbedarf besteht und welche Maßnahmen zu treffen sind. 

Legen Sie bei der Gefährdungsbeurteilung also fest, ob es sich um eine geringe, mittlere oder große Gefahr handelt:

  • Große Gefahren sind nicht akzeptabel und müssen auf jeden Fall verhindert werden (z. B. Krankheitskeime in Hygienebereichen).
  • Mittlere Gefahren sind allenfalls kurzfristig akzeptabel (z. B. das Heben schwerer Lasten).
  • Geringe Gefahren gehören zum allgemeinen Lebensrisiko (z. B. Schnittverletzungen aufgrund eines zerbrochenen Glases).

4. Festlegung von Arbeitsschutzmaßnahmen

Im vierten Schritt müssen Arbeitgeber geeignete Maßnahmen treffen und priorisieren. Hierfür kann das sogenannte TOP-Prinzip herangezogen werden:

  • T = Technische Maßnahmen
  • O = Organisatorische Maßnahmen
  • P = Persönliche Maßnahmen

Damit können Sie eine Maßnahmenhierarchie erstellen, anhand derer Sie Ihre Arbeitsschutzmaßnahmen festlegen und umsetzen.

5. Durchführung der Schutzmaßnahmen

Im fünften Schritt der Gefährdungsbeurteilung sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, die definierten Schutzmaßnahmen im Unternehmen zu implementieren. Zur Umsetzung der Schutzmaßnahmen sollten Sie Verantwortliche festlegen und Ihre Mitarbeiter miteinbeziehen. Auch sollten Sie ihre Mitarbeiter regelmäßig anhand der Betriebsanweisungen unterweisen.

6. Überprüfung der Wirksamkeit aller getroffenen Schutzmaßnahmen

Hier gilt es zu prüfen, ob die festgelegten Schutzmaßnahmen eingehalten werden und ob sich das Gefahrenpotenzial durch die Schutzmaßnahmen verringert hat. Unter Umständen müssen bei einem Mangel Optimierungen durchgeführt werden.

7. Fortschreiben der Gefährdungsbeurteilung

Eine Gefährdungsbeurteilung sollte in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Demnach ist der siebte und letzte Schritt der Gefährdungsbeurteilung stets ein fortlaufender Prozess. 

Wichtig: Der Umfang einer Gefährdungsbeurteilung orientiert sich an den individuellen Gegebenheiten in Ihrer Betriebsstätte. Sämtliche voraussehbaren Arbeitsabläufe sowie die vorhandenen Arbeitsmittel sind zu berücksichtigen. Ebenfalls wichtig im Hinblick auf die Sicherheit Ihrer Arbeitnehmer ist, dass bereits vorgefallene Arbeitsunfälle, Beinaheunfälle und Berufserkrankungen und -belastungen mit in die Gefährdungsbeurteilung aufgenommen werden.

Welche Gefährdungsfaktoren gibt es?

Folgende Gefährdungsfaktoren sind bei der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen:

  • elektrische Gefährdungen,
  • Gefährdungen durch gefährliche oder auch biologische Stoffe,
  • Gefahr durch eine potenzielle Explosionsgefahr,
  • physische sowie psychische Einwirkungen,
  • mechanische Gefährdungen,
  • Gefahren durch physikalische oder chemische Einwirkungen, 
  • Risiken durch die Gestaltung der Arbeitsabläufe, der Arbeitszeit sowie durch die Arbeitsbedingungen.

Das Arbeitsschutzgesetz nennt die allgemeinen Gefahrenquellen insbesondere in den:

  • Arbeitsabläufen, 
  • Arbeitszeiten, 
  • Arbeitsverfahren, 
  • Unterweisung der Mitarbeiter 
  • sowie Qualifikation der Beschäftigten. 

Diese Gefahrenquellen sind zu analysieren und mögliche Risiken oder Gefährdungen aufzudecken. Je nach Branche und Betrieb können noch weitere wesentliche Gefahrenquellen zu den Genannten hinzukommen. Sobald eine Gefährdung entdeckt wurde, ist eine geeignete Lösung bzw. Maßnahme zu finden. 

Für welche Arbeitsplätze muss eine Gefährdungsbeurteilung erstellt werden?

Die Gefährdungsbeurteilung muss für jeden Arbeitsplatz in Ihrem Unternehmen erfolgen. Schwierigkeiten können sich bei nicht stationären Arbeitsplätzen ergeben. In diesen Fällen sieht die Gesetzgebung vor, dass Sie für eine Gefährdungsbeurteilung am jeweiligen Standort Sorge tragen.

Muss die Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden?

Gemäß dem Arbeitsschutzgesetz haben Sie als Arbeitgeber eine Dokumentationspflicht hinsichtlich der Gefährdungsbeurteilung. Diese Pflicht gilt unabhängig von der Betriebsgröße oder anderen Faktoren. Eine ausführliche Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung ist die Grundlage für eine wirksame Durchsetzung.

Diese Dokumentation ist von Ihnen als Arbeitgeber verpflichtend durchzuführen. Sie schaffen dadurch Transparenz und sorgen für eine verbindliche Ausgangssituation. Die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung ist zudem der notwendige Nachweis für die Aufsichtsbehörde und dient der Kontrolle der zu treffenden Arbeitsschutzmaßnahmen.

Wie muss die Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden?

Grundlegend müssen das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die darauf gestützten Arbeitsschutzmaßnahmen sowie das Ergebnis der Überprüfung ausreichend dokumentiert werden. Das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung beinhaltet sämtliche vorhandenen Gefährdungen und Risiken in der Betriebsstätte. Dabei sind die betroffenen Abläufe der Arbeit oder Arbeitsmittel zu benennen.

Mit den getroffenen Arbeitsschutzmaßnahmen sollen diese Risiken unschädlich gemacht werden. Daher ist auf eine potenzielle Wirksamkeit sowie die grundlegende Möglichkeit der Durchführung zu achten. Die Maßnahmen müssen angemessen sein und sollten zeitnah implementiert werden können. 

In welcher Form muss die Gefährdungsbeurteilung dokumentiert werden?

Der Gesetzgeber hat keine Bestimmungen hinsichtlich der Form der Dokumentation getroffen. Es ist daher sowohl die Dokumentation auf Papier als auch die Erfassung in digitaler Form möglich. Spezielle Regelungen des Arbeitsschutzes können die allgemeinen Bestimmungen ergänzen.

Wer muss die Gefährdungsbeurteilung erstellen?

Grundsätzlich kann die Gefährdungsbeurteilung von Ihnen als Arbeitgeber selbst erstellt werden. Er kann jedoch auch einen fachkundigen, vertrauenswürdigen und zuverlässigen Mitarbeiter mit dieser Aufgabe beauftragen. Achten Sie bei der Wahl eines geeigneten Mitarbeiters auf dessen Kompetenzen sowie zeitlichen Möglichkeiten.

Halten Sie die Beauftragung aus Beweis- und Nachweisgründen immer schriftlich fest und klären Sie in schriftlicher Form, welche Aufgaben der Beauftragte durchzuführen hat sowie welche Kompetenzen übertragen werden. Ihr Mitarbeiter verpflichtet sich mit diesem Vertrag zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung. Die Kontrolle obliegt jedoch immer der Geschäftsführung und kann nicht abgegeben werden.

Wer ist an der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen?

Gemäß §§ 3 und 6 ASiG (Arbeitssicherheitsgesetz) haben Sie als Arbeitgeber schriftlich einen Betriebsarzt sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. Die gesetzlich beschriebenen Pflichten müssen von Ihnen an die jeweilige Stelle übertragen werden. Die DGUV-Vorschrift 2 konkretisiert die gesetzlichen Regelungen des ASiG. Sollten Sie in Ihrem Unternehmen einen Personal- oder Betriebsrat haben, ist dieser gemäß § 89 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ebenfalls an der Gefährdungsbeurteilung zu beteiligen. Der Betriebsrat ist gemäß § 9 ASiG über wichtige Entscheidungen und Angelegenheiten von den verantwortlichen Stellen zu informieren.

Von einer Gefährdungsbeurteilung profitieren zudem sämtliche Angestellte in einem Unternehmen. Um wirksame Ergebnisse zu erzielen, sollten die Beschäftigten daher in den Prozess eingebunden werden. Durch Unterweisungen der möglichen Risiken sowie der getroffenen Schutzmaßnahmen kann sichergestellt werden, dass diese bewusster eingehalten werden. Die Mitarbeiter können in diesem Zuge an die arbeitsrechtlichen Pflichten gemäß §§ 15 und 16 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz) erinnert werden. Gruppendiskussionen sowie Mitarbeiterbefragungen in Form von anonymisierten Fragebögen können zu einer effizienten Entwicklung von Sicherheitsvorkehrungen sowie der Erkennung von Gefährdungen beitragen.

Wie wird eine Gefährdungsbeurteilung kontrolliert?

Die Umsetzung der Regelungen und Pflichten des Arbeitsschutzgesetzes wird durch die zuständige staatliche Aufsichtsbehörde sowie die Unfallversicherungsträger kontrolliert. Die staatliche Aufsichtsbehörde hat gemäß § 21 Abs. 1 ArbSchG eine Kontrollpflicht hinsichtlich des Arbeitsschutzes. Dabei ist zu prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsschutzes in den betrieblichen Strukturen wiederzufinden sind. Zudem wird kontrolliert, ob diese vorschriftsgemäß beachtet und eingehalten werden. Verordnungen sowie Verwaltungsvorschriften begründen die sachliche sowie örtliche Zuständigkeit der jeweiligen Aufsichtsbehörde. 

Bei Verstößen gegen geltende Arbeitsschutzgesetze kann die staatliche Aufsichtsbehörde die Einhaltung der Regelungen mit hoheitlicher Macht durchsetzen. Verpflichtende Bescheide sowie Sanktionen können gegen Arbeitgeber verhängt werden, um das Wohl und die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.

Das autonome Satzungsrecht räumt dem Unfallversicherungsträger zudem ein Kontrollrecht im Hinblick auf den Arbeitsschutz ein. Die Gefährdungsbeurteilung können daher grundsätzlich von dem Unfallversicherungsträger geprüft werden. Dabei wirken die beiden Institutionen bei der Überwachung und Kontrolle eng zusammen. Wesentliche Ergebnisse und Erkenntnisse werden untereinander geteilt, um eine optimale Kontrolle zu gewährleisten.