Arbeitsunfall: Was tun? Pflichten als Arbeitgeber
- Zusammenfassung: Das Wichtigste zum Arbeitsunfall in Kürze
- Definition: Was ist ein Arbeitsunfall?
- Wann liegt ein versicherter Arbeitsunfall vor?
- Was sind Wegeunfälle?
- Wann greift der Versicherungsschutz bei einem Arbeitsunfall nicht?
- Was ist bei einem Arbeitsunfall zu tun?
- Welche Pflichten hat der Arbeitgeber bei einem Arbeitsunfall?
- Wer entscheidet, ob ein Unfall als Arbeitsunfall gilt?
- Wer zahlt bei einem Arbeitsunfall?
- Wie wird das Verletztengeld berechnet?
- Hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Schmerzensgeld vom Arbeitgeber?
- Wer zahlt bei einem Arbeitsunfall von Selbstständigen?
- Welche Schäden/Kosten trägt die Unfallversicherung?
- Kann der Arbeitgeber nach einem Arbeitsunfall kündigen?
- FAQ zum Arbeitsunfall
Zusammenfassung: Das Wichtigste zum Arbeitsunfall in Kürze
- Definition Arbeitsunfall: Ein Arbeitsunfall ist ein plötzliches, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder Tod führt. Ein solcher Unfall muss während einer versicherten Tätigkeit passieren, wie sie im Siebten Sozialgesetzbuch (§ 8 SGB VII) definiert ist.
- Vorgehen bei Arbeitsunfall: Erste Hilfe leisten und Hilfe holen (Notruf), Unfallbericht erstellen und Unfallanzeige bei der Berufsgenossenschaft aufgeben, Arbeitnehmer zum Besuch eines Durchgangsarztes auffordern, zuständige Behörden informieren
- Häufigste Unfallursachen in Deutschland: Stolpern, Rutschen und Stürzen (SRS-Unfälle), fehlerhafte Bedienung von Maschinen und Geräten, unsachgemäßes Heben oder Tragen sowie Missachten von Sicherheitsvorschriften und Unfälle durch fehlende Erfahrung oder Nachlässigkeit.
- Wegeunfälle (DGUV): Unfälle auf dem Weg zur oder von der Arbeit.
- Ausschlüsse vom Versicherungsschutz: An- und Ausziehen der Arbeitskleidung (außer bei vorgeschriebener Kleidung), Essen und Trinken am Arbeitsplatz (außer Weg zur Kantine), private Feiern im Betrieb (außer offizielle Firmenveranstaltungen), Raucherpausen, Teilnahme an Streiks und bei Alkoholmissbrauch
- Pflichten des Arbeitgebers bei einem Arbeitsunfall: Meldung des Unfalls an den Versicherungsträger (§ 193 SGB VII) bei Tod sofort, bei Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen gilt eine Frist von drei Tagen. Unfallanalyse ist ebenfalls empfehlenswert.
- Entscheidung über Vorliegen eines Arbeitsunfalls: Unfallversicherungsträger entscheidet, ob ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird.
- Schmerzensgeld: Kein Anspruch auf Schmerzensgeld bei Arbeitsunfällen (außer bei Vorsatz).
- Kündigung: Kündigung nach Arbeitsunfall nur bei erheblichen Fehlverhalten oder grober Fahrlässigkeit durch den Arbeitnehmer möglich.
Definition: Was ist ein Arbeitsunfall?
Das Siebte Sozialgesetzbuch definiert den Begriff Arbeitsunfall im § 8 wie folgt: „Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz (…) begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.“
Das bedeutet: Wer sich bei der Arbeit verletzt und davon körperliche oder psychische Schäden trägt oder gar zu Tode kommt, hat einen Arbeitsunfall erlitten. Doch das Gesetz fasst einen Arbeitsunfall noch weiter. Zu den sogenannten „versicherten Tätigkeiten“, die von der Gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt werden, zählen auch folgende Fälle:
- Unfälle auf dem Weg zur Arbeit bzw. von der Arbeit nach Hause
- Beschädigung oder Verlust eines Hilfsmittels
Wichtig: Der Versicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung greift auch bei Wegen zur Kindertagesstätte oder zum Kindergarten bzw. von dort zur Arbeit – allerdings nur dann, wenn Eltern ihre Kinder aufgrund ihrer „beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen“ (§ 8 SGB VII) müssen.
Grundsätzlich bezieht sich der Terminus Arbeitsunfall nicht ausschließlich auf Unfälle im beruflichen Alltag. Er muss umfassender gesehen werden, da in der gesetzlichen Unfallversicherung viele unterschiedliche Personengruppen wie Schüler, Studenten und Ehrenamtliche versichert sind.
Wann liegt ein versicherter Arbeitsunfall vor?
Das SGB VII listet im § 2 alle Versicherten auf, die kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert sind. Im § 3 werden zusätzlich die Versicherten kraft Satzung aufgeführt. Daraus folgt, dass die folgenden Arbeitsunfälle als versicherte Arbeitsunfälle definiert werden können:
- Unfall während der beruflichen Tätigkeit am Arbeitsplatz,
- Unfall während des Schul- oder Kitabesuchs,
- Unfall bei der Pflege eines nahen Angehörigen im eigenen Wohnhaus,
- Unfall bei der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit,
- Unfall während der Hilfeleistung bei einem Verkehrsunfall.
Zu den 5 häufigsten Ursachen für Arbeitsunfälle in Deutschland gehören:
- SRS-Unfälle (Stolpern, Rutschen und Stürzen),
- Fehlerhafte Bedienung von Maschinen und Geräten,
- Unsachgemäßes Heben oder Tragen,
- Missachten der geltenden Sicherheitsvorschriften,
- Unfälle aufgrund fehlender Erfahrung oder Routineunfälle aufgrund von Nachlässigkeit.
Zählt ein Unfall im Homeoffice als versicherter Arbeitsunfall?
Arbeitsunfälle können im häuslichen Umfeld ebenso auftreten, wie am Arbeitsplatz. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber den § 8 SGB VII um Arbeitsunfälle im Homeoffice erweitert. Das Gesetz besagt:
„Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.“
Dies bedeutet für die Praxis, dass Arbeitsunfälle im Homeoffice ebenfalls über die Unfallversicherungsträger abgedeckt sind. Wie weit der Versicherungsschutz im Homeoffice geht, zeigt ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2021. Im Urteil wurde ausgeführt, dass ein Beschäftigter, der auf dem morgendlichen erstmaligen Weg vom Bett ins Homeoffice stürzt, ebenfalls durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt ist. Entscheidend ist, dass der Unfall auf dem Weg zum häuslichen Arbeitsplatz geschehen ist.
Was sind Wegeunfälle?
Die DGUV definiert Wegeunfälle als Unfälle, die Beschäftigte auf dem Weg zur oder von der Arbeit erleiden. Notwendige Umwege sind ebenfalls versichert.
Welche Wege zählen dazu?
- Arbeitsweg von und zur ersten Arbeitsstätte oder zu einem beruflichen Einsatzort,
- Wege, die notwendig werden, um Kinder während der Arbeitszeit unterzubringen,
- Unfälle im Rahmen von Fahrgemeinschaften,
- Ein Arbeitsunfall, der bei einem Stau auf einer Verkehrs-Umleitung geschieht,
- Arbeitsunfälle, die nicht auf dem kürzesten Verkehrsweg entstehen, wenn die Arbeitsstätte über einen längeren Weg schneller erreicht werden kann.
Wann greift der Versicherungsschutz bei einem Arbeitsunfall nicht?
Nicht jeder Unfall, der im Rahmen der beruflichen Tätigkeit auftritt, kann automatisch als Arbeitsunfall oder Wegeunfall gewertet werden. In den folgenden Ausnahmefällen besteht kein Versicherungsschutz:
An- und Ausziehen der Arbeitskleidung | Umziehen im Betrieb gehört grundsätzlich zu den privaten Tätigkeiten und ist nicht versichert. Ist im Betrieb eine besondere Arbeitskleidung vorgeschrieben, besteht im Gegensatz Versicherungsschutz. |
Essen und Trinken am Arbeitsplatz | Verunfallt ein Mitarbeiter beim Essen und Trinken am Arbeitsplatz, beispielsweise durch einen Wespenstich, besteht kein Versicherungsschutz. Der Weg zur Kantine oder zum Pausenraum ist hingegen versichert. |
Private Feiern im Betrieb | Für private Feiern im Betrieb anlässlich eines Geburtstags oder eines Jubiläums besteht kein Versicherungsschutz. Offizielle Termine wie ein Betriebsausflug oder ein Betriebsfest sind versichert, da die Geschäftsleitung zu diesem Gemeinschaftsevent einlädt. |
Auslandsaufenthalt | Grundsätzlich sind betrieblich veranlasste Auslandsaufenthalte versichert. Dies gilt nicht für Unfälle, die aufgrund einer selbstverschuldeten Provokation oder aus Neugier im Ausland auftreten oder für Beschäftigte, die trotz Reisewarnung in einem Kriegsgebiet oder Krisenort bleiben. |
Arztbesuch | Ein Arztbesuch während der Arbeitszeit, der nicht aufgrund eines Arbeitsunfalls erfolgt, ist nicht versichert. Dies gilt ebenfalls für Termine für Schutzimpfungen, die nicht vom Arbeitgeber veranlasst sind. Eine Ausnahme bildet ein Arztbesuch, der auf Anweisung des Arbeitgebers erfolgt. |
Personalkauf | Mitarbeiter, die während ihrer Pausenzeiten vergünstigte Waren im Unternehmen einkaufen, sind nicht versichert. |
Raucherpause | Raucher sind während Raucherpausen nicht versichert, da es sich um eine private Tätigkeit handelt. Verletzt sich ein Mitarbeiter während einer Raucherpause auf dem Betriebsgelände, besteht kein Versicherungsschutz. |
Teilnahme an Streiks | Wer als Arbeitnehmer die Arbeit niederlegt und sich an einem Arbeitskampf beteiligt, ist nicht unfallversichert. |
Alkoholmissbrauch | Wer volltrunken am Arbeitsplatz einen Arbeitsunfall erleidet, ist nicht unfallversichert. Bei Wegeunfällen aufgrund von Trunkenheit verlieren Arbeitnehmer ebenfalls schnell den Versicherungsschutz, wenn nachgewiesen werden kann, dass ein nicht unter Alkoholeinfluss stehender Verkehrsteilnehmer ebenfalls verunglückt wäre. |
Zusammenfassend gilt, dass private Tätigkeiten während der beruflichen Tätigkeit sowie alle Verletzungen und Gesundheitsschäden, die ohne Einwirkung von außen auftreten, nicht durch den Versicherungsschutz der Berufsgenossenschaften oder der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckt sind.
Was ist bei einem Arbeitsunfall zu tun?
Bei einem Arbeitsunfall ist schnelles und strukturiertes Handeln entscheidend. Hier sind die wichtigsten Schritte, die Sie als Arbeitgeber unternehmen sollten:
1. Erste Hilfe leisten und Notruf absetzen
Zuerst steht die Gesundheit des Verletzten im Vordergrund. Leisten Sie sofort Erste Hilfe, falls Sie dazu in der Lage sind, oder rufen Sie ausgebildete Ersthelfer hinzu. Bei schweren Verletzungen oder lebensbedrohlichen Situationen sollte umgehend ein Notruf abgesetzt werden.
2. Unfallprotokoll erstellen
Um alle versicherungsrelevanten Kriterien zu erfüllen, stehen Arbeitgeber in der Pflicht, Arbeitsunfälle in das sogenannte „Verbandbuch“ einzutragen. Darin werden alle im Unternehmen geleisteten Erste-Hilfe-Maßnahmen niedergeschrieben.
Wichtig: Die Experten der gesetzlichen Unfallversicherung raten, möglichst alle Unfälle festzuhalten – auch die vermeintlich kleinen. Wie bereits erwähnt hat das den Sinn und Zweck, dass der Versicherungsschutz auch für Folgeschäden besteht.
3. Verletzten zum Durchgangsarzt schicken
Wenn der Unfall zu einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als einem Tag führt oder eine längerfristige Behandlung erforderlich ist, muss der Verletzte einen Durchgangsarzt aufsuchen. Der Durchgangsarzt entscheidet über die weitere medizinische Versorgung und fungiert als Bindeglied zwischen dem Unfallversicherungsträger und den behandelnden Ärzten.
4. Arbeitsunfall bei der Berufsgenossenschaft melden
Kommt es zu einem Arbeitsunfall, müssen Unternehmen den Versicherungsträger entsprechend § 193 SGB VII zeitnah – innerhalb von drei Tagen – über den Vorfall informieren. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn der Mitarbeiter länger als drei Tage arbeitsunfähig ist. In einem solchen Fall muss der Arbeitgeber eine Unfallanzeige bei der jeweiligen Berufsgenossenschaft oder der Unfallkasse machen. Kommt es zu schwerwiegenden Zwischenfällen oder verstirbt ein Mitarbeiter gar, ist eine sofortige Meldung Pflicht.
Verwenden Sie für die Meldung des Arbeitsunfalls das vorgeschriebene Formular oder die Online-Services der Berufsgenossenschaften. Einige Berufsgenossenschaften bieten den Fragebogen bereits online zum Download an. Sinnvoll ist es, den Bogen in dreifacher Ausführung anzufertigen bzw. zu kopieren.
Die drei Ausführungen werden wie folgt verteilt:
- Versicherungsträger: Der Versicherungsträger erhält den originalen Bogen. Er dient dazu, den Versicherungsanspruch zu prüfen bzw. Leistungen bereitzustellen.
- Unternehmen: Ein Exemplar sollte der Betrieb aufbewahren und archivieren. Gibt es einen Betriebsrat, so erhält dieser ebenfalls eine Ausfertigung.
- Betroffener: Das dritte Exemplar ist für den Betroffenen. Dieser hat das Recht auf eine Zweitschrift der Unfallanzeige.
Falls Ihre Beschäftigten keinen Anspruch auf ein Duplikat erheben, ist es sinnvoll, die Mitarbeiter dennoch darauf hinzuweisen, dass ein solcher Anspruch besteht.
5. Zuständige Behörden informieren
Falls Ihr Unternehmen der allgemeinen Arbeitsschutzaufsicht unterliegt, sind Sie verpflichtet, eine Kopie der Unfallanzeige an die zuständige Behörde, wie das Gewerbeaufsichtsamt, zu senden. Diese Meldung ist gemäß § 193 Abs. 7 SGB VII erforderlich.
Welche Pflichten hat der Arbeitgeber bei einem Arbeitsunfall?
Arbeitgeber sind verpflichtet, einen Arbeitsunfall umgehend beim zuständigen Versicherungsträger zu melden. Ein Arbeitsunfall liegt gemäß § 8 SGB VII in folgenden Fällen vor:
- Bei Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels, beispielsweise einer Brille oder eines Hörgeräts,
- Bei körperlichen Gesundheitsschäden, zum Beispiel einem Bruch oder einer Schnittverletzung,
- Bei psychischen Unfallschäden, beispielsweise einem akuten Trauma,
- Bei Verletzungen mit Todesfolge.
Der § 193 SGVII zeigt eindeutig auf, dass Arbeitgeber eine Pflicht zur Anzeige des Arbeitsunfalls beim zuständigen Unfallversicherungsträger haben. Dies kann entweder die Unfallversicherung oder die Berufsgenossenschaft sein, in der das Unternehmen Mitglied ist.
Wann besteht eine Unfallanzeigepflicht?
Nicht jeder Arbeitsunfall ist aus gesetzlicher Sicht anzeigepflichtig. § 193 SGB VII bestimmt eindeutig:
„Die Unternehmer haben Unfälle von Versicherten in ihren Unternehmen dem Unfallversicherungsträger anzuzeigen, wenn Versicherte getötet oder so verletzt sind, dass sie mehr als drei Tage arbeitsunfähig werden.“
Die Unfallversicherungsträger empfehlen trotz der gesetzlichen Vorgaben, jeden Arbeitsunfall zu melden, da aus vermeintlich kleineren Ereignissen in der Folge größere Verletzungen entstehen können, die durch die Unfallanzeige dem Arbeitsunfall zugeordnet werden können.
Weitere Pflichten des Arbeitgebers bei einem Arbeitsunfall
Gemäß § 193 SGB VII hat der Arbeitgeber bei einem Arbeitsunfall die folgenden Pflichten, die sich abhängig von der Ausprägung des Unfallereignisses und des Gesundheitsschadens ergeben:
- Die Anzeige ist binnen drei Tagen zu erstatten.
- Der Unternehmer muss dem Arbeitnehmer auf Verlangen, eine Kopie der Anzeige aushändigen.
- Die Unfallanzeige ist vom Betriebs- oder Personalrat mitzuunterzeichnen.
- Der Unternehmer hat die Sicherheitsfachkraft und den Betriebsarzt über jede Unfall- oder Berufskrankheiten-Anzeige in Kenntnis zu setzen.
- Verlangt der Unfallversicherungsträger zur Feststellung, ob eine Berufskrankheit vorliegt, Auskünfte über gefährdende Tätigkeiten von Versicherten, haben die Unternehmer den Betriebs- oder Personalrat über dieses Auskunftsersuchen unverzüglich zu unterrichten.
- Für Unternehmen, die der allgemeinen Arbeitsschutzaufsicht oder der bergbehördlichen Aufsicht unterliegen, gelten weitere Regeln zur Unterrichtung der behördlichen Stellen.
Wer entscheidet, ob ein Unfall als Arbeitsunfall gilt?
Die letztendliche Entscheidung, ob ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird, treffen die gesetzlichen Unfallversicherungsträger. Sie entscheiden nach Sachlage, interpretieren die Fakten der Unfallanzeige und die Informationen des Durchgangsarztes und prüfen, wie der Gesundheitsschaden entstanden ist.
Zuständig sind die folgenden Unfallversicherungsträger:
Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand | Zuständig für Schüler, Kindergartenkinder und Studenten sowie für Beschäftigte von Bund, Ländern und Gemeinden |
Gewerbliche Berufsgenossenschaften | Zuständig für alle Beschäftigten in privaten Wirtschaftsunternehmen |
Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften | Zuständig für Beschäftigte in der Land- und Forstwirtschaft, für Selbstständige Landwirte sowie für mitarbeitende Familienangehörige |
Wer zahlt bei einem Arbeitsunfall?
Arbeitnehmer, deren Arbeitsunfall vom zuständigen Unfallversicherungsträger anerkannt wurde, haben Anspruch auf die im Gesetz festgelegten Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Welche Hilfen im Einzelfall bezahlt werden, wird individuell nach Sachlage entschieden und hängt vom Gesundheitsschaden, der Tätigkeit und der Beeinträchtigung durch den Arbeitsunfall ab.
Wie wird das Verletztengeld berechnet?
Der Begriff Verletztengeld bezeichnet das Krankengeld der Berufsgenossenschaft. Das Verletztengeld beträgt 80 Prozent des regelmäßigen Bruttoverdienstes vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit und ist auf den regelmäßigen Nettoverdienst begrenzt. Es wird im Höchstfall für 78 Wochen bezahlt.
Die gesetzliche Grundlage zur Auszahlung von Verletztengeld wird im § 47 SGB VII definiert. Vom Verletztengeld abgezogen werden die anteiligen Sozialversicherungsbeiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur Rentenversicherung. Als Entgeltersatzleistung wird es von den gesetzlichen Krankenkassen im Auftrag des Unfallversicherungsträgers ausbezahlt. Verletztengeld wird für jeden Kalendertag bezahlt, an dem eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Arbeitsunfalls besteht.
Wichtig: Die Zahlung von Verletztengeld beginnt nach Beendigung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Für Arbeitgeber bedeutet dies in der Praxis, dass sie ähnlich wie bei einer Langzeiterkrankung 42 Tage nach Feststellung der Arbeitsunfähigkeit das Geld des Arbeitnehmers weiter zahlen. Erst nach dieser Zeitspanne wird das Verletztengeld ausbezahlt, sodass der Arbeitgeber von der Gehaltszahlung befreit ist.
Beispielrechnung Verletztengeld
Herr Müller hat einen schweren Arbeitsunfall erlitten und wird voraussichtlich für mehr als 6 Monate arbeitsunfähig sein. Vor seinem Arbeitsunfall bezog Herr Müller ein monatliches Gehalt von 5.500 Euro brutto. Sonderzahlungen wie Urlaubs und Weihnachtsgeld wurden nicht bezahlt. Herr Müller wird in Lohnsteuerklasse III mit einem Kinderfreibetrag geführt und ist gesetzlich krankenversichert. Sein regelmäßiges monatliches Nettoentgelt betrug vor dem Unfall 3.786 Euro.
Nach Ablauf der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhält Herr Müller Verletztengeld in folgender Höhe:
- 80 Prozent des kumulierten Brutto-Gehalts = 4.400 Euro,
- Das Verletztengeld darf das regelmäßige Nettoentgelt (3.786 Euro) nicht überschreiten,
- Vom Verletztengeld werden die hälftigen Beiträge zur Rentenversicherung (511,50 Euro) sowie zur Arbeitslosenversicherung (66 Euro) einbehalten.
- Das Verletztengeld beträgt somit:
3.786 Euro – 511,50 Euro – 66 Euro = 3.208,50 Euro.
Der Tagessatz Verletzungsgeld (Monatssatz geteilt durch 30) beträgt: 106,95 Euro.
Hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Schmerzensgeld vom Arbeitgeber?
In der Regel hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Schmerzensgeld vom Arbeitgeber, da Arbeitgebern bei Arbeitsunfällen kein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Da Arbeitgeber kein Interesse an einem Arbeitsunfall haben, besteht in der Regel kein Anspruch auf die Zahlung von Schmerzensgeld.
Wer zahlt bei einem Arbeitsunfall von Selbstständigen?
Selbstständige und Freiberufler können sich freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichern lassen. In diesem Fall zahlt die Unfallversicherung ab dem 22. Krankheitstag ein Verletztengeld aus, das sich nach der Höhe der Versicherungssumme richtet. Zusätzlich empfiehlt sich für Selbstständige und Freiberufler eine private Unfallversicherung, die sowohl Arbeitsunfälle und ebenso private Unfälle mit Gesundheitsschäden abdeckt.
Welche Schäden/Kosten trägt die Unfallversicherung?
Die folgenden und weitere Leistungen stehen Versicherten nach einem Arbeitsunfall zu:
- Verletztengeld während der Arbeitsunfähigkeit,
- Übergangsgeld, das während der Dauer von berufsfördernden Leistungen bezahlt wird,
- Rentenzahlungen,
- Hinterbliebenenleistungen wie Sterbegeld oder Witwenrenten,
- Gewährung von Pflegegeld und Stellung einer Pflegekraft
- Wohnungs- und Kraftfahrzeughilfe, Zahlung von Kinderbetreuungskosten, Reisekosten sowie Übernahme der Kosten für eine Betriebs- oder Haushaltshilfe,
- Diverse Leistungen zur sozialen Teilhabe sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,
- Übernahme aller Kosten der Heilbehandlung und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Kann der Arbeitgeber nach einem Arbeitsunfall kündigen?
In Deutschland dürfen Arbeitgeber Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall nur nach einer umfangreichen Interessenabwägung und auf Grundlage der gesetzlichen Kündigungsvorschriften entlassen. Da der Arbeitnehmer im Betrieb durch den Arbeitsunfall einen Gesundheitsschaden erlitten hat, muss dieser Umstand zu seinen Gunsten gezählt werden. Möglicherweise nicht eingehaltene Arbeitsschutzbestimmungen, die zum Unfall geführt haben, wiegen aus Arbeitgebersicht ebenfalls schwer. Kommt es nach einer Kündigung zu einer Klage vor dem zuständigen Arbeitsgericht, stehen die Chancen auf eine erfolgreiche Kündigungsschutzklage für den Arbeitnehmer gut.
Ausschließlich wenn der Arbeitgeber ein erhebliches Fehlverhalten oder grobe Fahrlässigkeit seitens des Arbeitnehmers nachweisen kann, wird einer Kündigung stattgegeben. Dieser Nachweis muss vor einer Entlassung erbracht werden.