Neues BGH-Urteil: Rechtliche Tücken beim Lieferverzug

Ein kürzlich veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 3.7.2013 zeigt, was passieren kann, wenn Sie die gesetzlichen Unterschiede zwischen Verzögerungsschaden und dem sogenannten Schadenersatz statt der Leistung nicht beachten.
Inhaltsverzeichnis

Der juristische Hintergrund

Befindet sich Ihr Lieferant mit seiner Lieferung in Verzug, haben Sie als Einkäufer mehrere Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Sie können entweder weiterhin auf der Lieferung bestehen und den durch die verspätete Lieferung entstandenen Schaden vom Schuldner fordern oder den Vertrag beenden und die nicht gelieferte Ware gegebenenfalls bei einem anderen Unternehmen bestellen (sogenannter Deckungskauf).

Ihre Rechte, wenn Sie weiterhin auf der Lieferung bestehen

In diesem Fall können Sie von Ihrem Lieferanten neben der Vertragserfüllung Ersatz des gesamten Ihnen entstehenden Verzugsschadens verlangen (§§ 280 Abs. 1, 286 BGB). Als Verzugsschaden ist Ihrem Unternehmen jeder Schaden zu ersetzen, der durch die nicht rechtzeitige Lieferung bzw. Leistung herbeigeführt wurde (beispielsweise Produktionsausfallschäden, Kosten einer Ersatzmiete, Schadenersatzleistungen an eigene Kunden). Sie können den Verzugsschaden bereits dann geltend machen, wenn er entsteht, oder aber auch warten, bis Ihr Lieferant geleistet hat, und dann den gesamten entstandenen Schaden geltend machen.

Beachten Sie: Auch bei einer verspäteten Lieferung sind Sie verpflichtet, die Ware vom Zulieferer abzunehmen. Denn an den bestehenden Vertragspflichten hat sich allein durch den Verzug Ihres Lieferanten nichts geändert!

Neues BGH-Urteil: Rechtliche Tücken beim Lieferverzug: Ihre Rechte beim Deckungskauf

Das heißt, wenn Sie den Vertrag beenden und die entsprechende Ware bei einem anderen Unternehmen beschaffen. In diesem Fall müssen Sie dem in Verzug befindlichen Lieferanten zunächst eine angemessene Nachfrist setzen. Genau hier liegt der wesentliche Unterschied zur erstgenannten Vorgehensweise, bei welcher Sie weiterhin auf der Lieferung bestehen. Denn zur Geltendmachung des reinen Verzögerungsschadens bedarf es einer Nachfristsetzung nicht!

Der Sinn der Nachfristsetzung liegt darin, dass dem Lieferanten noch eine letzte Chance eingeräumt werden soll, den Vertrag trotz der Verspätung zu erfüllen.

Aus dieser Nachfristsetzung ergibt sich bereits, dass eine solche Frist nicht zu kurz bemessen sein darf. Der Schuldner muss eine reelle Möglichkeit haben, seine Leistung zu erbringen. Erweist sich eine Frist als zu kurz, so ist sie nicht völlig unwirksam, sondern setzt eine angemessene Frist in Gang. Das Setzen einer angemessenen Frist ist entbehrlich, wenn der Lieferant die Leistung endgültig und ernsthaft verweigert, was Sie dann im Streitfall allerdings beweisen müssten.

Nach Fristablauf können Sie vom Vertrag zurücktreten und/oder Schadenersatz statt der Leistung geltend machen. Hierunter fallen dann unter anderem auch die Mehrkosten eines von Ihnen vorgenommenen Deckungskaufs.

Der praktische Streitfall

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Einkäufer die beiden oben dargestellten Vorgehensmöglichkeiten „vermischt“: Er verlangte weiterhin Lieferung, nahm aber für den Verzugszeitraum einen Deckungskauf vor und wollte die Mehrkosten des Deckungskaufs vom Lieferanten ersetzt haben.

Konkret war Folgendes passiert: Der Einkäufer, eine Spedition, kaufte bei einem Lieferanten 2.000.000 Liter (l) Biodiesel. Die Lieferungen sollten in der Zeit von April 2008 bis Ende September 2008 erfolgen. In den Monaten April und Mai 2008 lieferte der Lieferant dem Einkäufer insgesamt 355.495 l Biodiesel. Mit Schreiben vom 4. Juni 2008 teilte der Lieferant mit, dass sein Vorlieferant in Insolvenz gegangen sei und die Lieferungen an ihn eingestellt habe, weshalb er zu einer weiteren Belieferung nicht mehr in der Lage sei.

Dagegen klagte der Einkäufer, und in dem entsprechenden Vorprozess wurde der Lieferant verurteilt, an die Spedition die noch ausstehenden 1.644.505 l Biodiesel zum vereinbarten Preis zu liefern. Der Lieferant nahm daraufhin die Lieferungen wieder auf.

In der Zwischenzeit hatte sich die Spedition für den Zeitraum zwischen Ende Mai und Ende September 2008 aber schon mit Diesel unterschiedlicher Lieferanten eingedeckt. Da sich die Biodieselpreise aber gegenüber dem zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vereinbarten Kaufpreis erhöht hatten, war der Einkäufer gezwungen, für diese Lieferungen 475.085,58 € mehr aufzuwenden, als er es bei Belieferung durch seinen ursprünglichen Lieferanten hätte tun müssen. Diese Mehrkosten der Deckungskäufe klagte der Einkäufer in einem weiteren Prozess bei Gericht ein.

Das Urteil des BGH

Während der Einkäufer beim Landgericht und beim Oberlandesgericht Erfolg hatte, verlor er beim BGH. Dieser wies die Zahlungsklage mit folgender Begründung zurück: Bei den durch die Deckungskäufe entstandenen Mehrkosten handele es sich nicht um einen Verzögerungsschaden nach § 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB, sondern um einen Schadenersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, 3, § 281 BGB.

Ein Anspruch auf Schadenersatz statt der Leistung stehe dem Kläger aber nicht (mehr) zu, denn er habe die Beklagte im Vorprozess mit Erfolg auf Erfüllung des Kaufvertrags in Anspruch genommen und diese habe daraufhin die Lieferungen auch wieder aufgenommen. Die Frage, ob der Einkäufer neben der Erfüllung die Mehrkosten eines eigenen Deckungsgeschäfts als Verzögerungsschaden beanspruchen kann, war bis zu diesem Zeitpunkt in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht entschieden.

Beachten Sie: Ein tragendes Argument des BGH für seine Entscheidung war auch folgende „Billigkeitserwägung“. Wären die Kosten des Deckungskaufs neben der Vertragserfüllung als Schadenersatzanspruch denkbar, würde der Einkäufer so gestellt, als habe er Anspruch auf die zweifache Menge des Biodiesels zu dem ursprünglich vertraglich vereinbarten Preis. Das sei aber unbillig.

Praxishinweis: In der Praxis kommt es gar nicht so selten vor, dass Einkäufer im Falle eines Lieferverzugs zwar weiterhin von ihren Lieferanten beliefert werden möchten, aber sich zur Schadenvermeidung gezwungen sehen, die Ware für den Verzugszeitraum woanders zu beschaffen.

Im Hinblick auf das oben dargestellte Urteil des BGH sollten Sie in diesem Fall versuchen, mit Ihrem Lieferanten eine schriftliche Vereinbarung darüber zu treffen, dass Sie zur Vermeidung weiterer Folgeschäden die Ware über den Verzugszeitraum von einem anderen Lieferanten beziehen und berechtigt sind, Ihrem Lieferanten die Mehrkosten dieses Deckungskaufs zu berechnen. Ansonsten laufen Sie Gefahr, hinsichtlich Ihrer Mehrkosten leer auszugehen.

Das Urteil des BGH vom 3.7.2013 können Sie abrufen unter www.bundesgerichtshof.de , dort bei „Entscheidungen“ unter Angabe des Aktenzeichens VIII ZR 169/12.