Gesetzliche Rücklagen bei Kapitalgesellschaften – die Vorgaben

Kapitalgesellschaften sind gesetzlich verpflichtet, Rücklagen zu bilden. Der folgende Artikel erklärt, in welcher Höhe Rücklagen gebildet werden müssen und welche Gesetze und Richtlinien in Bezug auf Rücklagen bindend sind.
Inhaltsverzeichnis

Alle Kapitalgesellschaften sind gesetzlich verpflichtet, gesetzliche Rücklagen bilden. Der § 150 des Aktiengesetzes (AktG) erklärt beispielsweise für Aktiengesellschaften: „In der Bilanz des Jahresabschlusses ist eine gesetzliche Rücklage zu bilden.“

Für die Praxis bedeutet dies, dass Aktiengesellschaften und grundsätzlich alle Kapitalgesellschaften Rücklagen in ihrer Bilanz einstellen und auflisten müssen. Der aus dem Rechnungswesen stammende Begriff „Rücklagen“ macht deutlich, dass Kapitalgesellschaften über eine Eigenkapitalreserve verfügen müssen. Bei Rücklagen handelt es sich grundsätzlich um Eigenkapital, das aus dem Gewinn des Unternehmens gebildet wurde.

Dieser Artikel untersucht die gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Kapitalrücklage von Kapitalgesellschaft, erklärt die unterschiedlichen Bestimmungen die für GmbH, UG und AG gelten und zeigt anhand von Beispielen, wie Rücklagen buchhalterisch aus Jahresüberschüssen gebildet werden müssen. Außerdem geht die Abhandlung auf die Frage an, welche Unterschiede zwischen offenen und stillen Rücklagen bestehen.

Warum sind Kapitalgesellschaften verpflichtet, Rücklagen zu bilden?

Ähnlich wie private Verbraucher oder Einzelunternehmen für die Zukunft vorsorgen und sparen, bilden Kapitalgesellschaften ebenfalls Rücklagen. Kapitalgesellschaften werden durch den Zusammenschluss mehrerer Personen gebildet. Sie sind haftungsbeschränkt und werden gegründet, um einen gemeinsamen Unternehmenszweck zu realisieren. Typische Kapitalgesellschaft sind die weitverbreitete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder die Aktiengesellschaft (AG).

Kapitalgesellschaften sind wie alle anderen Unternehmen konjunkturellen Schwankungen unterworfen. Im Besonderen können fallende Aktienkurse bei unternehmerischen Fehlern Aktiengesellschaften in eine bedrohliche Schieflage führen. In diesen und vielen weiteren Fällen sind Rücklagen essenziell. Rücklagen dienen zum einem als zusätzliches Haftungskapital. Sie erhöhen gleichzeitig die Kreditwürdigkeit des Unternehmens.

Was ist der Unterschied zwischen Kapitalrücklagen und Gewinnrücklagen?

Aus gesetzlicher Sicht müssen Kapitalgesellschaften ihre Rücklagen nach:

  1. Kapitalrücklagen und
  2. Gewinnrücklagen

differenzieren.

Bildung und Auflösung von Kapitalrücklagen

Der § 272 des Handelsgesetzbuches listet im Detail auf, welche Beträge oder Kapitalwerte als Kapitalrücklage berücksichtigt werden dürfen:

  • Der Betrag, der bei der Ausgabe von Anteilen einschließlich von Bezugsanteilen über den Nennbetrag oder, falls ein Nennbetrag nicht vorhanden ist, über den rechnerischen Wert hinaus erzielt wird;
  • Der Betrag, der bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen für Wandlungsrechte und Optionsrechte zum Erwerb von Anteilen erzielt wird
  • Der Betrag von Zuzahlungen, die Gesellschafter gegen Gewährung eines Vorzugs für ihre Anteile leisten;
  • Der Betrag von anderen Zuzahlungen, die Gesellschafter in das Eigenkapital leisten.

Kapitalrücklagen werden Unternehmen grundsätzlich von außen zugeführt, sobald sie Vorzugsaktien oder Anteile ausgeben.

Beispiel: Eine Aktiengesellschaft gibt Aktien zu einem Emissionspreis von 20 Euro an der Deutschen Börse aus. Die Aktie hat einen Nennwert von 5 Euro. Der Nennwert errechnet sich, wenn das Grundkapital des Unternehmens durch die Anzahl der ausgegebenen Aktien dividiert wird. Der Unterschied zwischen Emissionspreis und Nennwert wird fachlich als Agio bezeichnet. Der Aktienverkauf muss wie folgt bilanziert werden:

  • 5 Euro (Nennwert) auf der Passivseite der Bilanz (gezeichnetes Kapital).
  • 15 Euro (Emissionspreis) als Kapitalrücklage.

Das Handelsgesetzbuch (HGB) reguliert neben dem Aufbau der Kapitalrücklage ebenfalls dessen Auflösung. Im § 150 des Aktiengesetzes wird darüber hinaus verfügt, dass Kapitalrücklagen ausschließlich für die folgenden Verwendungszwecke genutzt werden können, wenn die gesetzliche Rücklagequote von 10 % des Grundkapitals nicht erreicht wurde:

  1. Zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist und nicht durch Auflösung anderer Gewinnrücklagen ausgeglichen werden kann.
  2. Zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist und nicht durch Auflösung anderer Gewinnrücklagen ausgeglichen werden kann.

Unternehmen, die die gesetzliche Rücklage von 10 % des Grundkapitals gebildet haben, können die Kapitalrücklage umfassender verwenden. Der Gesetzgeber erlaubt in diesem Fall:

  1. Den Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist.
  2. Den Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist.
  3. Eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln.

Kapitalrücklagen werden grundsätzlich aus der Differenz des Nennwertes und des Emissionspreises von Wertpapieren gebildet. Die Abweichung wird als Agio bezeichnet. Sie unterliegen in Bezug auf die Auflösung und Verwendung strengen Vorgaben des Gesetzgebers. Kapitalrücklagen sind Teil des Eigenkapitals und müssen in der Bilanz extra ausgegeben werden.

Die Gewinnrücklage und ihre Spezifikationen

Neben der Kapitalrücklage muss bei Kapitalgesellschaften die Gewinnrücklage als Rücklageform unterschieden werden. Gewinnrücklagen werden als die Nettoerträge definiert, die aus dem Jahresüberschuss einer Kapitalgesellschaft gebildet werden. Gewinne, die nicht an die Anteilseigner ausgeschüttet werden, erhöhen das Eigenkapital. Sie sind somit wie Kapitalrücklagen Teil des Eigenkapitals einer Kapitalgesellschaft. Gewinnrücklagen werden auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen.

Der § 272 III des Handelsgesetzbuches (HGB) gibt vor: „Als Gewinnrücklagen dürfen nur Beträge ausgewiesen werden, die im Geschäftsjahr oder in einem früheren Geschäftsjahr aus dem Ergebnis gebildet worden sind. Dazu gehören aus dem Ergebnis zu bildende gesetzliche oder auf Gesellschaftsvertrag oder Satzung beruhende Rücklagen und andere Gewinnrücklagen.“

Rücklagen für eigene Aktienkäufe sind ebenfalls auszuweisen, sodass die Gewinnrücklage als wichtige Form der Selbstfinanzierung bezeichnet werden kann.

Neben der gesetzlichen Gewinnrücklage, die 10 % des Grundkapitals beträgt, können zusammenfassend ebenso:

  • Freiwillige Gewinnrücklagen,
  • Gewinnrücklagen für eigene Anteile oder
  • Satzungsgemäße Gewinnrücklagen verbucht werden.

Große Kapitalgesellschaften müssen ihre Gewinnrücklage in der Bilanz entsprechend aufspalten.

Bis zum Erreichen von zehn Prozent des Grundkapitals müssen Unternehmen 5 % des verbleibenden Jahresüberschusses als Gewinnrücklage verbuchen.

Beispiel Gewinnrücklage Aktiengesellschaft

Eine Aktiengesellschaft verfügt zum Bilanzstichtag am 31.12.2020 über ein Grundkapital in Höhe von 300 Mio. Euro. Das Unternehmen hat im Geschäftsjahr 2020 einen Jahresüberschuss nach Steuern von 70 Mio. Euro eingenommen. Derzeit beträgt die Kapitalrücklage 15 Mio. Euro. Die Gewinnrücklagen schlagen mit 8 Mio. Euro zubuche.

Aus der Geschäftsbilanz des Unternehmens folgt:

  • Kapitalrücklage und Gewinnrücklage betragen zusammen 23 Mio. Euro. Damit liegt die Rücklage zusammengerechnet unter 10 % des Grundkapitals.
  • 5 % des Jahresüberschusses (3,5 Mio. Euro) müssen aus diesem Grund der Gewinnrücklage zugeführt werden.
  • Die Gewinnrücklage beträgt nach der Erhöhung 11,5 Mio. Euro.

Was ist der Unterschied zwischen offenen und stillen Rücklagen?

Offene Rücklagen werden transparent in der Bilanz des Unternehmens ausgewiesen. Zu den typischen offenen Rücklagen gehören die Gewinnrücklage und die Kapitalrücklage. Sie werden auf einem gesonderten Rücklagekonto bilanziert und erscheinen auf der Passivseite der Bilanz. Sie zählen buchhalterisch zum variablen Eigenkapital. Die Verwendung oder Auflösung offener Rücklagen ist an gesetzliche Vorgaben oder die Zustimmung der Gesellschafterversammlung (UG und GmbH) oder der Hauptversammlung (AG) geknüpft.

Bei stillen Rücklagen handelt es sich um stille Reserven, die nicht in der Bilanz ausgewiesen sind. Vermögenswerte einer Kapitalgesellschaft, zum Beispiel vorhandener Grundbesitz könnte in der Bilanz als unterbewertet dokumentiert werden. Während die Grundstücke der Aktiengesellschaft zum Beispiel einen Wert von 17 Millionen Euro haben, werden in der Bilanz 15 Millionen ausgewiesen. Die Differenz von 2 Millionen kann als stille Rücklage angesehen werden. In diesem Fall erscheint das Eigenkapital am Bilanzstichtag geringer als es tatsächlich ist.

Wichtig: Warum Rücklagen keine Rückstellungen sind

Die bekannten Buchhaltungsbegriffe Rücklagen und Rückstellungen können schnell verwechselt werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, die genaue Definition von Rückstellungen zu kennen. Rückstellungen werden als ungewisse Verbindlichkeiten eines Unternehmens definiert.

Zum Beispiel sind Unternehmen verpflichtet, Urlaubstage, die sie von einem in ein anderes Kalenderjahr übertragen, als Rückstellung zu verbuchen. Ein weiteres Praxisbeispiel wäre die Schuldrückstellung von ungewissen Verbindlichkeiten. Als ungewisse Verbindlichkeiten werden beispielsweise Pensionsrückstellungen genutzt, die im aktuellen Geschäftsjahr für das nächste Geschäftsjahr gebildet werden.

Während bei gewöhnlichen Verbindlichkeiten wie beispielsweise einem Firmenkredit Grund, Höhe und Fälligkeit bekannt sind, ist dies bei Rückstellungen nicht der Fall. In der Bilanz werden Rückstellungen auf der Passivseite unter dem Oberbegriff „Rückstellungen“ verbucht.

Rückstellungen haben grundsätzlich mit Verbindlichkeiten zu tun. Im Gegensatz erhöhen Rücklagen das Eigenkapital eines Unternehmens und haben keine Auswirkung auf die Verbindlichkeiten.

Unterschiedliche Rücklagequoten Kapitalgesellschaften: Was gilt für AG, UG und GmbH?

Für die unterschiedlichen Arten von Kapitalgesellschaften sieht der Gesetzgeber abweichende Rücklagequoten für die gesetzliche Rücklage vor:

Aktiengesellschaft (AG)

Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)

Rücklage muss im Mindestfall 10 % des Grundkapitals betragen

5 % des Jahresüberschusses müssen als Rücklage gebildet werden, bis 10 % des Grundkapitals erreicht wurden. Verlustvorträge können abgezogen werden.

Gesetzliche Grundlage: § 150 AktG

Unternehmergesellschaft (UG) (Mini-GmbH mit weniger als 25.000 Euro Stammkapital)

Bildung einer gesetzlichen Rücklage, die einem Viertel (25 %) des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses entspricht

Gesetzliche Grundlage: § 5a GmbHG

Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)

Keine Pflicht zur fortlaufenden Rücklagenbildung, wenn 25.000 Euro Stammkapital eingezahlt wurden

Gesetzliche Grundlage: § 5 GmbHG

 Rücklagenbildung bei Kapitalgesellschaften – wer über Kapitalrücklagen entscheidet

Neben den rechtlichen Bestimmungen, die die Höhe der gesetzlichen Rücklage bei Kapitalgesellschaften bestimmen, kommt den Gremien in Kapitalgesellschaften bei der Nutzung von Überschüssen als Rücklage eine besondere Bedeutung zu.

In einer GmbH oder der häufig als Mini-GmbH bezeichneten UG entscheidet die Gesellschafterversammlung über die Verwendung der Jahresüberschüsse. Sie kann neben der gesetzlichen Verpflichtung der Rücklage von 25 %  bei der UG entscheiden, den gesamten oder einen Teil des Jahresüberschusses einzusetzen, um das Eigenkapital der Gesellschaft zu erhöhen. Bei einer Aktiengesellschaft entscheidet die Hauptversammlung darüber, in welcher Höhe Überschüsse den Aktionären zukommen sollen und mit welcher Summe das Eigenkapital der Gesellschaft vergrößert wird. Alle Rücklagen werden als Bestandteil des Eigenkapitals auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesen.

Fazit: Über die Rücklage in Kapitalgesellschaften entscheiden der Gesetzgeber sowie die Gesellschafter und Anteilseigner

Der Gesetzgeber verpflichtet Kapitalgesellschaften Rücklagen zu bilden. Ähnlich wie im privaten Bereich werden Rücklagen als Vorsorgeleistung aufgebaut, um in Zeiten höheren Bedarfs oder konjunktureller Schwankungen auf diese zurückgreifen zu können. Das Aktiengesetz verfügt, dass Aktiengesellschaften 10 % ihres Grundkapitals als Rücklage ansparen müssen. Die Rücklagen bestehen in diesem Fall aus Kapitalrücklagen und Gewinnrücklagen. Kapitalrücklagen werden aus dem Agio bei Aktienverkäufen gebildet, Gewinnrücklagen ausschließlich aus den Jahresüberschüssen eines Geschäftsjahres.

Rücklagen werden grundsätzlich auf der Passivseite der Bilanz als Bestandteil des Eigenkapitals ausgewiesen. Aktiengesellschaften müssen 5 % ihres Jahresüberschusses pro Jahr als Rücklage ansparen, bis 10 % des Grundkapitals als Rücklage bilanziert werden. Ein Verlustvortrag kann abgezogen werden. Für eine GmbH oder eine UG, die als Mini-GmbH bezeichnet wird, bestehen abweichende Regelungen.

Grundsätzlich sichern die gesetzlichen Rücklagen und ebenso die freiwilligen Rücklagen von Kapitalgesellschaften die Gläubiger vor Zahlungsausfällen. Rücklagen können in Abhängigkeit von den gesetzlichen Vorgaben genutzt werden, um Verluste in einem Geschäftsjahr auszugleichen und die Liquidität zu sichern.