Grafik Sozialauswahl bei Kündigung

Sozialauswahl bei Kündigung: Ablauf, Punktesystem und Kriterien

Die Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung ist gesetzlich vorgeschrieben. Schließlich schützt sie den sozial Schwächeren vor einer vorschnellen Entlassung. Bei der Durchführung der Sozialauswahl sind jedoch verschiedene Schritte zu beachten und zahlreiche soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen. In unserem Ratgeber erörtern wir die aktuelle gesetzliche Lage und erklären den Ablauf einer Sozialauswahl. Außerdem: Was passiert, wenn die Sozialauswahl ausgeblieben oder fehlerhaft war?
Inhaltsverzeichnis

Was ist die Sozialauswahl bei einer Kündigung?

Wenn ein Unternehmen aus rein betrieblichen Gründen gleich mehrere Angestellte entlassen muss, so richtet sich die genaue Auswahl der Betroffenen nach bestimmten sozialen Gesichtspunkten. Eine derartige Sozialauswahl bei der Kündigung ist gleichzeitig unabdingbare Voraussetzung für die Wirksamkeit der jeweiligen Kündigungen. Werden Mitarbeiter betriebsbedingt gekündigt, so liegen die Kündigungsgründe nicht in der Person des Einzelnen. Vielmehr stellen betriebliche Erfordernisse wie Betriebsstilllegungen wegen Insolvenz oder massive Umstrukturierungen die Gründe für eine betriebsbedingte Kündigung dar.   

Bei der Prüfung, ob und wie eine Sozialauswahl durchzuführen ist, geht es demzufolge nicht um die Wirksamkeit der Kündigungsgründe selbst. Stattdessen wird die Frage beantwortet, ob im Rahmen der Sozialauswahl bei der Kündigung sämtliche sozialen Kriterien in ausreichendem Maß beachtet wurden. 

Gesetzlich verankert ist die Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 KSchG (Kündigungsschutzgesetz). An gleicher Stelle sind zudem die anzuwendenden Kriterien aufgeführt, die zur Wirksamkeit der Kündigung vom Arbeitgeber bzw. seines Personalmanagements unbedingt berücksichtigt werden müssen. Sinn und Zweck dieser Vorschriften sind in den unterschiedlichen Lebensläufen und -situationen der Arbeitnehmer zu sehen. Denn um eine einigermaßen gerechte Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt gewähren zu können, sind die individuellen Voraussetzungen bestmöglich zu untersuchen. 

Wann muss eine Sozialauswahl erfolgen? 

Eine Sozialauswahl bei der Kündigung muss dann stattfinden, wenn das Kündigungsschutzgesetz anzuwenden ist. Dies ist dann der Fall, wenn 

  1. die zu kündigenden Mitarbeiter länger als sechs Monate in einem Betrieb 
  2. mit mehr als zehn Angestellten

beschäftigt waren.

Das Kündigungsschutzgesetz besagt in § 1 KSchG, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss. Grundsätzlich gilt, dass nach Vorbringen der Kündigungsgründe eine Interessenabwägung erfolgen und eine Weiterbeschäftigung im Betrieb geprüft werden muss. Im Gegensatz zu verhaltens- oder personenbedingten Kündigungen muss bei betriebsbedingten Kündigungen zusätzlich eine Sozialauswahl vorgenommen werden. Im Übrigen ist die Abmahnung bei einer betriebsbedingten Kündigung entbehrlich, da die Warnfunktion nicht gegeben ist. 

Wann kann die Sozialauswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung ausbleiben?

In Kleinbetrieben mit weniger als zehn Mitarbeitern müssen nach deutschem Arbeitsrecht weder Kündigungsgründe genannt noch eine Sozialauswahl bei der Kündigung vorgenommen werden. Allerdings gilt nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts das Gebot der Rücksichtnahme. Danach sind auch bei einem Kleinbetrieb die Lebensumstände der Angestellten mitzuberücksichtigen, damit die Kündigung gemäß § 242 BGB nicht als „treuwidrig“ angesehen wird (Urteil vom 21.02.2001, Az. 2 AZR 15/ 00).

Darüber hinaus ist eine Sozialauswahl bei Kündigung folgerichtig dann entbehrlich, wenn wegen einer Betriebsschließung der gesamten Belegschaft gekündigt wurde. Des Weiteren kann die Sozialauswahl ebenfalls ausbleiben, wenn der Betroffene vertraglich an einen bestimmten Arbeitsplatz gebunden ist, sodass eine Weiterbeschäftigung an einem anderen Ort unmöglich wäre.

Wie läuft die Sozialauswahl ab? 

Muss der Arbeitgeber nicht nur seine wirtschaftlich missliche Lage in den Griff kriegen, sondern auch zwischenmenschlich ein Urteil fällen und den oder die „richtigen“ Kandidaten für die Kündigung auswählen, kann es bei der Sozialauswahl schon mal knifflig werden. Am Ende des Prozedere muss dem Mitarbeiter gekündigt werden, der durch die anzuwendenden Kriterien bei der Sozialauswahl oder durch das Kündigungsschutzgesetz am wenigsten geschützt wird bzw. werden muss. 

Im Rahmen der Sozialauswahl bei Kündigung sind insgesamt drei Schritte zu befolgen:

  1. Vergleichbarkeit der Mitarbeiter
  2. Ausschluss einzelner Mitarbeiter von der Sozialauswahl
  3. Anwendung der Kriterien der Sozialauswahl

Schritt 1: Wann sind einzelne Mitarbeiter vergleichbar?

Zu Beginn der Sozialauswahl ist eine sogenannte Vergleichsgruppe zu bilden, in der die Mitarbeiter hinsichtlich ihrer vertraglich vereinbarten Tätigkeit verglichen werden können. Eine solche Vergleichbarkeit erfolgt horizontal. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmer in der jeweiligen Gruppe in der Hierarchie ähnlich einzustufen sind. Nicht miteinander vergleichbar in diesem Sinn sind demzufolge etwa Filialleiter und Verkäufer. 

Der Arbeitgeber ist gehalten, bei der Sozialauswahl innerhalb der vergleichbaren Arbeitnehmer, die somit über einen austauschbaren Arbeitsplatz verfügen, denjenigen auszuwählen, der aus sozialen Gesichtspunkten wohl am wenigsten schutzbedürftig ist. Dies bedeutet gleichzeitig, dass der als sozial stärkere, im Unternehmen verbleibende Mitarbeiter in der Lage sein muss, die Tätigkeit des gekündigten Arbeitnehmers zu übernehmen. 

Schritt 2: Können Mitarbeiter von der Sozialauswahl ausgenommen werden?

Die Sozialauswahl berücksichtigt neben der sozialen Stellung der Mitarbeiter auch die Interessenlage des Arbeitgebers bzw. des Unternehmens. Danach können einzelne Mitarbeiter dann von der Sozialauswahl ausgenommen werden, wenn eine weitere Betriebszugehörigkeit im berechtigten, betrieblichen Interesse liegt. So befindet sich ein Angestellter dann in einer bevorzugten Position, wenn seine persönlichen Kenntnisse, Fähigkeiten, aber auch gezeigten Leistungen der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur dienlich sind. 

Damit auf diese Art nicht ausschließlich die Leistungsträger des Unternehmens bevorteilt werden, ist nach einem Leitsatz des Bundesarbeitsgerichts genau abzuwägen. Danach muss das betrieblich ausgerichtete Interesse des Arbeitgebers an einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers das Interesse des als sozial schwächer eingestuften Mitarbeiters überwiegen. Erst dann ist die Sozialauswahl bei Kündigung in diesem Punkt korrekt angewendet bzw. durchgeführt worden. 

Schritt 3: Welche sind die Kriterien der Sozialauswahl? 

Laut § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG muss die Sozialauswahl vier Kriterien berücksichtigen, die der persönlichen Situation des Arbeitnehmers geschuldet sind.

Hierzu gehören:

Kriterium der SozialauswahlErklärung
Dauer der BetriebszugehörigkeitEin Arbeitnehmer, der dem Unternehmen bereits seit vielen Jahren treu und kontinuierlich gedient hat, erfährt demzufolge mehr Berücksichtigung als ein neu eingestellter Mitarbeiter.
Lebensalter des MitarbeitersDas Alter kann bei der Sozialauswahl dann ausschlaggebend für die weitere Betriebszugehörigkeit sein, wenn sich für den Betroffenen eine schlechtere Perspektive auf dem Arbeitsmarkt ergibt als bei vergleichbaren Kollegen. So stehen jüngere Mitarbeiter mit deutlich besseren Chancen da, wieder eine neue Arbeitsstelle besetzen zu können. Während gesundheitliche Aspekte beim Altersvergleich unberücksichtigt bleiben müssen, kann dagegen der Zeitpunkt der beginnenden Rente eine entscheidende Rolle spielen. 
Bestehende UnterhaltspflichtenUnterhaltspflichten des Mitarbeiters sind zu berücksichtigen, wenn dadurch die Familie (Ehepartner, Kinder) mitbetroffen ist. Dabei ist zu beachten, dass nur zum Zeitpunkt der Kündigung bestehende Unterhaltspflichten anerkannt werden können. 
SchwerbehinderungAuch eine Schwerbehinderung kann sich bei der Sozialauswahl dahingehend auswirken, dass der Schutz des Betroffenen größer zu bewerten ist. Die Schwerbehinderung ist gemäß § 152 SGB IX (Sozialgesetzbuch Neuntes Buch) nach Antrag festzustellen. 

Kann der Arbeitgeber bei der Sozialauswahl ein Punktesystem anwenden?

Ein allgemeingültiges Punktesystem, wonach der Arbeitgeber die Schutzbedürftigkeit seiner Mitarbeiter beurteilen könnte, existiert nicht. Allerdings ist es gängige Praxis, dass ein solches Punktesystem vom Arbeitgeber angewandt wird. Dabei werden für die vier Kriterien der Sozialauswahl unterschiedlich viele Punkte vergeben, je nachdem, welcher Gesichtspunkt vom einzelnen Angestellten erfüllt wird. So erhält der zu Kündigende mehr Punkte, wenn er z. B. eine Schwerbehinderung vorzuweisen oder Unterhaltspflichten zu leisten hat. 

Die Gesamtanzahl der durch ein derartiges Punktesystem erzielten Punkte kann entscheidend darüber Aufschluss geben, wie schutzbedürftig der Mitarbeiter ist. Auf der anderen Seite darf daneben die einzelfallbezogene Gesamtabwägung nicht ausbleiben.

Gehören auch Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz in die Sozialauswahl?

Nein. Arbeitnehmer, deren Kündigung per Gesetz verboten ist, unterliegen grundsätzlich nicht der Prüfung einzelner sozialer Gesichtspunkte, wie sie in der Sozialauswahl vorgenommen werden. Der Sonderkündigungsschutz bezieht sich auf die Personengruppen der Schwerbehinderten, Schwangeren, Mütter und Mitglieder eines Betriebsrates.  

Der Arbeitgeber kann jedoch z. B. bei Schwerbehinderten nach erfolgter Zustimmung des Integrationsamtes berechtigt sein, sie dennoch in die Sozialauswahl miteinzubeziehen. 

Werden Mitarbeiter in der Probezeit in der Sozialauswahl berücksichigt?

Ähnlich wie bei Mitarbeitern eines Kleinbetriebes mit weniger als zehn Angestellten muss in der Probezeit keine Sozialauswahl durchgeführt werden. Allerdings ist bei der Kündigung auch in diesen Fällen das Gebot der Rücksichtnahme zu beachten. 

Welche Konsequenzen drohen bei einer fehlenden oder mangelhaften Sozialauswahl?

Wurde keine Sozialauswahl vorgenommen oder sind dabei Fehler begangen worden, kann die (einzelne) Kündigung unwirksam sein. Ist der Gekündigte der Annahme, dem Arbeitgeber seien im Rahmen der Sozialauswahl bei der Kündigung Fehler unterlaufen, indem er die Kriterien des Kündigungsschutzgesetzes nicht hinreichend bewertet hat, kann er Kündigungsschutzklage erheben. 

Grundsätzlich steht dem Arbeitgeber bei der Sozialauswahl ein gewisser Ermessensspielraum zu. Das bedeutet, er muss zwar die Sozialauswahl nach bestem Wissen und Gewissen durchführen und dabei sämtliche Gesichtspunkte berücksichtigen. Je nach Ansicht des Gerichts sind ihm jedoch kleinere „Unrichtigkeiten“ nachzusehen. Lediglich grobe Fehler ergeben eine falsche bzw. mangelhafte Sozialauswahl. Diesen Umstand muss der gekündigte Arbeitnehmer jedoch vor Gericht beweisen – nachdem der Arbeitgeber ihm die Entscheidungsgründe für die vorgenommene Bewertung mitgeteilt hat. 

Allerdings hat die Unwirksamkeit der Kündigung ausschließlich Auswirkungen auf den betreffenden (Einzel-)Fall. Die sogenannte Dominotheorie, wodurch nach einer unwirksamen Kündigung gleich sämtliche damit zusammenhängenden Kündigungen ebenfalls unwirksam werden, hat das Bundesarbeitsgericht nach jahrelanger Anwendung wieder aufgegeben.