Sozialauswahl Punktesystem: Kinder, Rentennähe und Doppelverdienst müssen jetzt stärker berücksichtigt werden
In Bezug auf die Gewichtung dieser 4 Kriterien konnten Sie sich bisher auf ein zuletzt 1994 vom Bundesarbeitsgericht bestätigtes Punkteschema stützen. Wie eine Reihe aktueller Urteile zeigt, genügt das nun aber offenbar nicht mehr.
Sozialauswahl Punktesystem: Das bislang akzeptierte Punkteschema
Nach dem bisher häufig empfohlenen Punkteschema gab es:
- je 1 Punkt pro Lebensjahr und Jahr der Beschäftigung bis zum vollendeten 55. Lebensjahr,
- 8 Punkte für den unterhaltsberechtigten Ehepartner,
- 4 Punkte je unterhaltsberechtigtes Kind,
- 5 Punkte für Schwerbehinderung bis 50 %,
- bei Schwerbehinderung über 50 % für 10 Prozentpunkte mehr je 1 Punkt zusätzlich.
Sozialauswahl Punktesystem: 1 Kind zählt mehr als 2 Beschäftigungsjahre
Nach obigem Schema zählt 1 Kind so viel wie 2 Beschäftigungsjahre (weil es auch für das Lebensalter in dieser Zeit zusätzliche Punkte gibt). Das ist nach heutiger Rechtsauffassung aber wohl nicht mehr angemessen. Angesichts der katastrophalen Folgen sinkender Geburtenraten müssten Kinder stärker gewichtet werden (Arbeitsgericht Ludwigshafen, 8.2.2005, 8 Ca 2824/04) . Die gegen die Entscheidung eingelegte Revision wurde zurückgewiesen (Landesarbeitsgericht [LAG] Rheinland-Pfalz, 6.7.2005, 6 [9] Sa 265/05) .
Sozialauswahl Punktesystem: Rentennähe mindert Schutzbedürftigkeit
Im verhandelten Fall erfolgte die Sozialauswahl zwischen
- einem 62- Jährigen, verheiratet, kinderlos, 34 Jahre Betriebszugehörigkeit,
- einem 55- Jährigen, verheiratet, kinderlos, 27 Jahre Betriebszugehörigkeit und
- einem 52- Jährigen, verheiratet, 1 Kind, 21 Jahre Betriebszugehörigkeit.
Nach obigem Schema kämen die beiden Älteren auf 90 Punkte, der Jüngere auf 85 Punkte. Dennoch wurde dem 62- Jährigen gekündigt, weil er die Zeit bis zur Rente mit Arbeitslosengeld überbrücken konnte.
Das wurde vom Gericht akzeptiert, weil auch die beiden Kollegen wegen ihres Alters große Probleme hätten, eine neue Stelle zu finden (LAG Niedersachsen, 23.5.2005, 5 Sa 198/05) .
Sozialauswahl Punktesystem: Doppelverdiener sind weniger schutzwürdig
Es genügt nicht zu unterscheiden, ob der Mitarbeiter verheiratet ist oder nicht. Positiv für den Mitarbeiter schlägt vielmehr nur ein unterhaltsberechtigter Ehepartner zu Buche. Hiernach müssen Sie sich gegebenenfalls bei den Mitarbeitern erkundigen (LAG Düsseldorf, 4.11.2004, 11 Sa 957/04) .
Im verhandelten Fall war einer 43 Jahre alten Mitarbeiterin, 1 Kind, alleinerziehend (kein Unterhalt vom Vater) mit 13 Jahren Betriebszugehörigkeit gekündigt worden. Das Gericht hielt jedoch die 51- jährige Kollegin mit 10 Jahren Betriebszugehörigkeit für weniger schutzwürdig, weil ihr Ehemann ungefähr so viel verdiente wie sie selbst. Also musste ihr gekündigt werden.
Fazit : Unterhaltsberechtigte Kinder sollten Sie ab sofort stärker bei der Sozialauswahl berücksichtigen, d. h. im Punkteschema etwa 8 Punkte wie für den Ehepartner.
Aspekte wie Rentennähe und Doppelverdienst berücksichtigen Sie zumindest als ergänzende Kriterien, wenn Mitarbeiter nach dem Punkteschema ähnlich viele Punkte bekommen. Ein Punktabzug für Doppelverdiener ist jedoch unzulässig (BAG, 5.12.2002, 2 AZR 549/01).