Führungskraft in Teilzeit: Empfehlenswert oder Utopie?

Führungskraft in Teilzeit: Empfehlenswert oder Utopie?

Führungskräfte und Teilzeit - diese beiden Begriffe galten in Kombination lange Zeit als unvereinbar. Mit einer Führungskraft verbindet man einen verantwortungsvollen Mitarbeiter, der mit hoher Flexibilität auf die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter eingehen kann, die Führung im Team übernimmt, seine Karriere vorantreibt und Entscheidungen trifft. Alle Aufgaben zusammengenommen benötigen viel Zeit. Sie sind im Allgemeinen eher mit Überstunden assoziiert als mit Teilzeit.
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Gleichzeitig gibt es schon heute Führungskräfte, die ihre Karriere und Teilzeit professionell miteinander vereinen. Im Jahr 2023 arbeiteten gemäß einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) rund 13 Prozent aller Führungskräfte in Deutschland in Teilzeit. Der Anteil weiblicher Teilzeit-Führungskräfte ist deutlich höher. 27,7 Prozent der weiblichen Führungskräfte sind in Teilzeit tätig. Bei männlichen Führungskräften liegt die Quote unter 5 Prozent. Auffällig ist auch, dass knapp drei Viertel der Teilzeit-Führungspositionen von Frauen besetzt sind.

  • Kann eine Führungskraft ihre Zuständigkeiten wirklich nur in Vollzeit erfüllen?
  • Braucht erfolgreiche Unternehmensführung zwingend die permanente Erreichbarkeit eines Vorgesetzten?
  • Oder sind diese Annahmen in einer digitalisierten und vernetzten Welt längst überholt?

Die Antwort ist eindeutig: Führung in Teilzeit ist nicht nur machbar, sondern wird zunehmend zur Realität in modernen Unternehmen. Während traditionelle Denkweisen aktuell noch dominieren, zeigen Studien und Praxiserfahrungen, dass flexible Arbeitszeiten in Führungspositionen unter den richtigen Rahmenbedingungen funktionieren können.

Dieser Artikel geht auf die typischen Fragen zum Thema Führung und Teilzeit ein. Er erklärt, warum Führung in Teilzeit noch die Ausnahme ist, welche Voraussetzungen für Teilzeit-Führungskräfte geschaffen werden müssen und welche Vorteile es für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt.

Warum Führung in Teilzeit noch die Ausnahme ist

Führung war historisch betrachtet lange Zeit eine Domäne der Männer. Frauen hatten in Unternehmen in den meisten Fällen keinen Zugang zu Schlüsselpositionen. Ihre Aufgabengebiete waren auf unterstützende oder nachrangige Tätigkeiten beschränkt. Ausnahmen waren Unternehmerinnen wie Katherine Graham, die ab 1972 CEO der Washington Post Company war oder Elisabeth Böhm, die gemeinsam mit ihrem Mann ein bedeutendes Architekturbüro in Köln leitete.

Mit den gesellschaftlichen Veränderungen und der wachsenden Bedeutung von Diversität in der Arbeitswelt seit der Jahrtausendwende hat sich diese Situation zwar verbessert. Führungspositionen in Teilzeit blieben jedoch weiterhin die Ausnahme. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen nicht nur in den strukturellen innerbetrieblichen Gegebenheiten. Auch gewachsene Rollenerwartungen und das weiterhin vorherrschenden Fulltime-Leadership-Ideal sind Gründe dafür, dass eine Karriere in der Führung in Teilzeit eher selten ist.

Rollenverständnis, Arbeitszeit und Work-Life-Blending

Die durchschnittliche Arbeitszeit deutscher Führungskräfte liegt weit über den gesetzlichen 40 Stunden pro Woche. Trotz Work-Life-Balance haben sich für viele Führungskräfte der Einsatz und die tatsächlichen Arbeitszeiten in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert. Dies liegt unter anderem auch daran, dass für viele Mitarbeiter in Leitungspositionen Arbeit und Freizeit eine Einheit bildet. Sie sind immer erreichbar und arbeiten von zu Hause oder unterwegs an beruflichen Aufgaben. Fachlich wird dieses Arbeitsmodell Work-Life-Blending genannt.

Work-Life-Blending beschreibt die flexible Integration von Arbeit und Privatleben. Vorteile sind gesteigerte Produktivität, weniger Stress und eine höhere Mitarbeiterbindung. Allerdings birgt das Modell Risiken wie unbezahlte Überstunden, gesundheitliche Probleme durch ständige Erreichbarkeit und eine mögliche Vernachlässigung der Freizeit. Eine klare Umsetzung und Abgrenzung sind entscheidend, um die Vorteile zu nutzen und negative Auswirkungen auf Familie und die Psyche zu vermeiden.

Angst vor Status- und Machtverlust

Viele Führungskräfte befürchten, dass Teilzeitarbeit ein Zeichen für Entbehrlichkeit oder eine schwächere persönliche Präsenz ist. Die Sorge, durch eine reduzierte Arbeitszeit Machtkämpfe mit Stellvertretern zu provozieren oder langfristig an Einfluss und Zuständigkeiten zu verlieren, ist in Unternehmen weit verbreitet.

Ebenso besteht bei manchen Führungskräften die Angst, wichtige Informationen zu verpassen oder nicht mehr ausreichend in Entscheidungsprozesse eingebunden zu sein. Diese Ängste sind aus Erfahrung nicht völlig unbegründet. Ein veränderter Arbeitsrhythmus in Teilzeit kann in der Praxis tatsächlich Herausforderungen mit sich bringen. Diese können durch die Einführung klarer Strukturen, einer transparenten Kommunikation und die aktive Unterstützung des direkten Vorgesetzten wirkungsvoll abgemildert werden.

Unklare Zuständigkeiten und Erreichbarkeit

Ein häufig genanntes Arbeitgeberargument gegen Teilzeit-Führung ist die erforderliche Erreichbarkeit für Mitarbeiter und Kunden. Dabei wird übersehen, dass auch Vollzeit-Führungskräfte durch Termine und Sitzungen oft nicht verfügbar sind. Die notwendige Ansprechbarkeit kann durch Jobsharing-Konzepte, einen zuverlässigen Sekretariatsservice und Flexibilität gewährleistet werden. Unternehmen wissen aus Erfahrung, dass eine klare Vereinbarung, wer den Vorgesetzten bei Abwesenheit vertritt, in der Praxis gut funktioniert.

Gibt es einen Anspruch auf Führung in Teilzeit?

Aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ergibt sich für Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Jedoch können Arbeitgeber den Antrag ablehnen, wenn betriebliche Gründe entgegenstehen.

Bei Führungspositionen werden häufig die besonderen Anforderungen der Position als Ablehnungsgrund für eine Führungsposition in Teilzeit angeführt. Falls die Ablehnung unberechtigt erscheint, ist die Führungskraft berechtigt, einen Anwalt für Arbeitsrecht einzuschalten und gegebenenfalls vor dem Arbeitsgericht Klage einreichen. Arbeitgeber sollten bei Anfragen auf Teilzeit transparent und wertschätzend argumentieren und versuchen, eine Lösung für die Belange der Führungskraft zu finden.

Drei Voraussetzungen für erfolgreiche Führung in Teilzeit

Die folgenden 3 Punkte stellen sicher, dass Führung in Teilzeit erfolgreich wird:

Delegation und Eigenverantwortung gezielt fördern

Laut der IW-Studie sind nahezu mehr als 2/3 der Personalverantwortlichen der Auffassung, dass Führung in Teilzeit nur funktioniert, wenn Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung mehr unternehmerische Verantwortung übernehmen.

Dies bedeutet für die Praxis von Führung in Teilzeit, dass die Teammitglieder stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden und ermutigt werden müssen, eigenständig zu handeln. Selbstbestimmte, agile Teams, die ihre Aufgaben eigenverantwortlich koordinieren, sind entscheidend.

Bereits beim Zusammenstellen der Teams und bei der Einstellung von Fachkräften sollte darauf geachtet werden, dass diese selbstständig agieren und über Hands-on-Mentalität verfügen. Klar strukturierte Stellvertretersysteme sind ebenfalls wesentlich. Ist klar festgelegt, wer in Abwesenheit der Führungskraft Entscheidungen trifft, ist sichergestellt, dass alle Abläufe im Team reibungslos funktionieren. Mit klarer Organisation und Delegation können die Herausforderungen moderner Arbeitsmodelle effizient gemeistert werden.

Klare Kommunikation bei Jobsharing-Modellen 

Erfolgreiche Teilzeit-Führung erfordert eine klare und transparente Gestaltung der Anwesenheitszeiten. Teammitglieder müssen wissen, wann ihre Führungsperson erreichbar ist und welche Verantwortlichkeiten sie übernimmt. Bei geteilter Führung, wie etwa im Jobsharing-Modell, müssen die Kompetenzbereiche klar abgegrenzt werden. Überschneidungen und Missverständnisse können langfristig zu Intransparenz und Frustration bei den Teammitgliedern führen. Darüber hinaus ist ein regelmäßiger und strukturierter Austausch zwischen den Teilzeit-Partnern unerlässlich, um eine einheitliche Führung und reibungslose Abläufe sicherzustellen.

Effektive Arbeitsorganisation

Menschenführung ist arbeitsintensiv. Teilzeit-Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, ihre Arbeitszeit optimal zu nutzen und gleichzeitig ihrem Führungsanspruch gerecht zu werden.

Eine besonders effektive und strukturierte Arbeitsweise und das klare Setzen von Prioritäten sind aus diesem Grund bei einer Teilzeit-Führungsposition unerlässlich. Experten empfehlen, ganze Arbeitstage zu reduzieren, anstatt täglich weniger Stunden zu arbeiten. Der Fokus auf ganze Tage ermöglicht eine bessere Organisation der Aufgaben und minimiert Unterbrechungen. Zudem sollte die Teilzeitposition nicht unter 75 Prozent der regulären Arbeitszeit liegen, um ausreichend Zeit für Führungsaufgaben, strategische Entscheidungen und die Unterstützung des Teams zu haben.

3 Vorteile von Führung in Teilzeit für Unternehmen

Erhöhte ArbeitgeberattraktivitätFlexibilität kanneinen entscheidenden Wettbewerbsvorteil darstellen. Viele Unternehmen stellen fest, dass die jüngere Generation zwar Verantwortung übernehmen möchte, gleichzeitig aber großen Wert auf Work-Life-Balance legt. Besonders Mütter, die Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollen, schätzen flexible Arbeitsmodelle. Das Angebot der Führung in Teilzeit kann Unternehmen helfen, talentierte Fach- und Führungskräfte zu gewinnen und langfristig zu binden.
Förderung von DiversitätDie Studie des IW ergab, dass 59 Prozent der Personalverantwortlichen Führung in Teilzeit als wichtiges Signal für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ansehen. 52 Prozent finden Teilzeitführung hilfreich, wenn es um die Förderung von Frauen in Führungspositionen geht. Unternehmen, die Teilzeit-Führungspositionen anbieten, sind beliebt und verbessern ihr Employer Branding.
Mitarbeiterbindung und -zufriedenheitFührungskräfte in Teilzeit können als Vorbilder für Work-Life-Balance fungieren. Dies beeinflusst die Unternehmenskultur positiv und zeigt, dass beruflicher Erfolg nicht an ein festes Arbeitszeitvolumen gekoppelt sein muss. Das Vorleben von flexiblen Arbeitsmodelle ermutigen andere Mitarbeiter, ebenfalls über individuelle Lösungen nachzudenken.

5 Erfolgsfaktoren für eine praktische Umsetzung von Teilzeit-Führung

Erfolgreiche Umsetzung von Führung in Teilzeit erfordert:

  • Unterstützung der Geschäftsführung: Ohne Rückendeckung von oberster Ebene scheitern flexible Führungsmodelle häufig.
  • Schrittweise Einführung: Pilotprojekte und langsame Ausweitung haben sich bewährt.
  • Regelmäßige Evaluation: Kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Modelle.
  • Technische Infrastruktur: Moderne Kommunikationsmittel und digitale Arbeitsplätze sind wichtige Stellschrauben für den Erfolg von Führung in Teilzeit.
  • Qualifizierung der Stellvertreter: Investition in die Entwicklung der zweiten Führungsebene sind wichtig, um erfahrene Nachwuchskräfte im Unternehmen aufzubauen.