Sexuelle Belästigung einer Auszubildenden: Als Ausbilder greifen Sie konsequent durch

Auszubildende sind vor sexuellen Übergriffen – auch verbaler Art – zu schützen. Hier sind vor allem Sie als Ausbilder in der Pflicht. Ein Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts kennt kein Pardon und unterstützt Sie bei Ihren Ausbilderpflichten (Az 16 SA 135/11 vom 27.2.2012).

Leider fallen gerade weibliche Auszubildende recht häufig sexueller Belästigung zum Opfer. Für potenzielle Täter scheinen sie gleich zweifach interessant: Zum einen bewirkt ihre Jugend und Attraktivität offenbar bei manchem fest etablierten Kollegen einen ungeahnten Hormonschub. Und zum anderen sind sie unerfahren und wissen möglicherweise nicht, wie man sich gegen einen Übergriff wehren kann. Auch das wird von Tätern ausgenutzt.

Ganz gleich, welches Motiv einen Kollegen antreibt – wenn Sie einen Vorfall dieser Art in Ihrer Abteilung erleben oder darüber Kenntnis erlangen, ist vor allem eines wichtig: der Schutz dieser Auszubildenden. Und an zweiter Stelle ist ebenfalls mit hoher Priorität die Bestrafung des Täters zu verfolgen. Diese sollte bewirken, dass weitere Übergriffe möglichst nicht mehr erfolgen können und zum zweiten, dass eine Abschreckungswirkung entsteht.

Konkretes Beispiel: Wenn Aussage gegen Aussage steht

Genau diese Ziele dürften in einem Großhandelsunternehmen für Eisenwaren, Sanitär, Heizung, Werkzeuge und Bauelemente erreicht worden sein. Ein Lagerarbeiter und Fahrer wurde der sexuellen Belästigung bezichtigt. Obwohl Aussage gegen Aussage stand, kam es zu einer Kündigung, was sowohl vom Arbeitsgericht Limburg als auch vom Hessischen Landesarbeitsgericht als rechtens angesehen wurde.

Das war geschehen: Der Lagerarbeiter machte sich insgesamt dreier Vergehen schuldig, die er allerdings zum Teil abstritt. In einem Fall ging es um eine Berührung und in zwei Fällen um eine unflätige, sexuell orientierte Äußerung:

  • Zum einen hatte der Kollege die Auszubildende, die sich im 1. Ausbildungsjahr befand, im Bereich des unteren Rückens angefasst, als diese sich an einer Packtheke nach vorne beugte. Davon berichtete sie dem Betriebsrat – allerdings mit deutlicher Verspätung.
  • Zwischenzeitlich fragte derselbe Kollege die Auszubildende an einem Montag mit obszönen Worten nach ihren sexuellen Aktivitäten am vergangenen Wochenende.
  • Und letztlich kommentierte er ebenfalls mit unangemessener sexuell orientierter Wortwahl das T-Shirt der Auszubildenden.

Obwohl die Vorfälle nicht zu 100% belegt werden konnten, sah es das Landesarbeitsgericht als erwiesen an, dass es wiederholt zu einer sexuellen Belästigung gekommen ist. Es musste nunmehr darüber entscheiden, ob eine fristlose Kündigung tatsächlich angemessen war oder ob es gereicht hätte, den Kollegen abzumahnen. Dazu stellte das Gericht im Einzelnen fest:

  • Wird eine Auszubildende wiederholt sexuell belästigt, dann kann das grundsätzlich ein Anlass sein, dem betroffenen Kollegen fristlos und ohne vorige Abmahnung zu kündigen.
  • Ist die Pflichtverletzung als eher leicht einzustufen, muss nach Prüfung des Einzelfalls allerdings zuvor abgemahnt werden.
  • In diesem Falle war die Abmahnung allerdings entbehrlich, da es sich um mehrere Vergehen gehandelt hat.
  • Alleine die Berührung der Auszubildenden im Bereich des unteren Rückens ist als gravierendes Fehlverhalten einzustufen. Sie konnte nicht zufällig erfolgt sein und es gab auch keinerlei Signale der Auszubildenden, dass sie ein solches Verhalten erwünschte.

Für Sie als Ausbilder bedeutet das

  1. Haben Sie für solche Vergehen stets ein wachsames Auge und auch ein offenes Ohr. Nehmen Sie alle Hinweise ernst.
  2. Machen Sie Ihre Auszubildenden darauf aufmerksam, dass sie entsprechendes Verhalten – auch verbaler Art – keineswegs hinnehmen müssen, sondern melden sollten.
  3. Sensibilisieren Sie aber auch Ihr Abteilungsumfeld. Das gilt vor allem dann, wenn dort Männer dominieren und möglicherweise ein etwas rauerer Umgangston herrscht.
  4. Schützen Sie aber vor allem Ihre Auszubildenden, wenn es einen begründeten Verdacht gibt. Sorgen Sie dafür, dass Täter und Opfer auf jeden Fall getrennt werden.
  5. Lassen Sie auf keinen Fall „Gnade vor Recht“ gelten. Kommt es zu Übergriffen – ganz gleich ob gewalttätiger oder sexueller Art – sorgen Sie für eine konsequente Aufarbeitung.
  6. Denken Sie aber stets auch daran, dass von Zeit zu Zeit der Vorwurf der sexuellen Belästigung auch missbraucht wird. Prüfen Sie daher jeden Hinweis genau.