Grundsatz: Allein die Nähe zur Kündigung genügt regelmäßig nicht!
Einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Sie trägt die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich. Erheben Sie als Arbeitgeber trotz vorgelegter ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Vorwurf, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht, müssen Sie zweierlei vortragen. Erstens muss Sie der Arbeitnehmer vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht haben. Zweitens müssen Sie darüber hinaus ausreichende Tatsachen darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben und den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttern.
Erst dann ist es unter Berücksichtigung der im Kündigungsschutzprozess greifenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast Aufgabe des Arbeitnehmers darzulegen, welche Erkrankungen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen diese mit sich gebracht haben und welche Verhaltensweisen ihm ärztlicherseits auferlegt worden sind. Regelmäßig kann er dieser nur nachkommen, indem er den Arzt von seiner Schweigepflicht entbindet.
Wichtiger Hinweis: Nach Auffassung der Gerichte genügt allein die Nähe zur Kündigung noch nicht für berechtigte Zweifel an der AU-Bescheinigung, wie der nachfolgende Fall zeigt.
Der Fall: Die Fachangestellte eines Rechtsanwalts kündigte, nahm ihre persönlichen Gegenstände mit nach Hause und reichte am nächsten Tag ein Attest ein, wonach sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsunfähig erkrankt sei. Der Rechtsanwalt sprach die außerordentliche Kündigung aus. Die Krankheit sei nur vorgetäuscht, sonst hätte sie nicht bereits vorher ihre Gegenstände mitgenommen.
Das Urteil: Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) kippte die Kündigung! Der Vortrag sei nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Es erscheine nicht einmal als ungewöhnlich, dass eine Arbeitnehmerin nach Übergabe einer ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses im Laufe desselben Tages gesundheitliche Störungen, wie Übelkeit bis zum Erbrechen, Kopfschmerzen oder Weinkrämpfe, erleidet, die zu einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit führen (LAG Hessen, Urteil vom 01.12.2012, Az.: 7 Sa 186/12.
Diese Umstände begründen berechtigte Zweifel
Erst wenn noch weitere Umstände hinzukommen, die an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit Zweifel hervorrufen, können Sie arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen. Folgende Umstände haben Gerichte regelmäßig für eine Annahme berechtigter Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeit genügen lassen:
- Verhalten des Arbeitnehmers ist mit bescheinigter Krankheit unvereinbar (etwa Ausübung beschwerlicher Arbeiten, die mit der Tätigkeit an seinem Arbeitsplatz vergleichbar sind)
- Der Krankenschein ist 5 Tage rückwirkend ausgestellt worden.
- Trotz gegenteiliger Einschätzung des Betriebsarztes vereitelt ein Mitarbeiter die Klärung seiner Arbeitsunfähigkeit, indem er seinen Arzt nicht von der Schweigepflicht entbindet.
Achtung! Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer bereits zuvor die Krankmeldung angedroht hatte für den Fall, dass der Arbeitgeber ihn beispielsweise nicht freistellen wird. Dann kommt es regelmäßig nicht mehr auf Zweifel an der AU-Bescheinigung an, sondern es wird als Kündigungsgrund bereits die widerrechtliche Drohung mit der Krankmeldung herangezogen!
So gehen Sie bei "berechtigten Zweifeln" vor!
Liegen ausreichende Gründe für die Annahme vor, dass der Arbeitnehmer in Wirklichkeit nicht arbeitsunfähig ist, sondern die restlichen Arbeitstage einfach nur "blaumachen will", können Sie die folgenden Maßnahmen ergreifen:
1. Schalten Sie den Medizinischen Dienst ein
Eine legale Form der Krankenkontrolle ist die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse (MDK) Ihres Arbeitnehmers. Nach § 275 Abs. 1a Satz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) V können Sie nämlich von der Krankenkasse Ihres Mitarbeiters verlangen, dass diese eine gutachterliche Stellungnahme des MDK zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Wann Sie eine solche Überprüfung verlangen dürfen und wie Sie ein entsprechendes Schreiben an die Krankenkasse formulieren, erfahren Sie in der rechten Spalte.
2. Sie können auch eigene Ermittlungen anstellen!
Sie können auch eigene Ermittlungsmaßnahmen ergreifen. Hierbei ist jedoch vor dem Hintergrund des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers Vorsicht geboten. Das Bundesarbeitsgericht hält es jedoch für zulässig, wenn ein Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Verdachts einem Detektiven die Überwachung des Arbeitnehmers überträgt, um Letzteren der vorsätzlichen Pflichtverletzung zu überführen (BAG, Urteil vom 26.09.2013, Az.: 8 AZR 1026/12).
Unter diesen Voraussetzungen können Sie später sogar die dafür aufgewendeten Kosten von ihrem Mitarbeiter zurückverlangen (LAG Köln, Urteil vom 07.07.2017, Az.: 4 Sa 936/16).
3. Sie können regelmäßig fristlos kündigen
Können Sie - spätestens nach den Ermittlungsmaßnahmen - einen Sachverhalt darlegen und beweisen, der den Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert und kann der Arbeitnehmer anschließend eine tatsächliche Erkrankung nicht darlegen, können Sie regelmäßig die fristlose Kündigung aussprechen.
Nach Auffassung höchstrichterlicher Rechtsprechung liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attests der Arbeit fernbleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt (BAG, Urteil vom 26.08.1993, Az.: 2 AZR 154/93).
4. Verlangen Sie Ihre Entgeltfortzahlung zurück!
Steht fest, dass Ihr Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hat, können Sie also vor Gericht diesen Sachverhalt darlegen und beweisen, können Sie bereits geleistete Entgeltfortzahlungsbeträge wieder zurückverlangen (LAG Köln, Urteil vom 07.07.2017, Az.: 4 Sa 936/16).